Tanz ist ein Teil meiner Seele


In enger Verbindung zum Stuttgarter Ballett führt Dreifach-Mutter und Tanzpädagogin Christine Schindler mit viel Herzblut, Feingefühl und Achtung der körperlichen und geistigen Gesundheit erfolgreich ihre eigene Ballettschule.

Liebe Frau Schindler, wer sind Sie und was machen Sie?
Mein Name ist Christine Schindler und ich bin Mama von drei Töchtern. Ich habe die Ballettschule „Ballett am Zollberg“ in Esslingen gegründet und leite diese nun seit 10 Jahren.

© Robby Arts Photography

Wann haben Sie Ihre Leidenschaft fürs Ballett und den Tanz entdeckt und wie sahen Ihre ersten Schritte ins Leben einer Tänzerin aus?
Ursprünglich habe ich mit der rhythmischen Sportgymnastik begonnen, dort habe ich bis zur Deutschen Meisterschaft im Kader geturnt. Ballett war in dieser Zeit nur ein Nebenfach des Leistungssportes. Nachdem mein Vater mit den Trainingsbedingungen in diesem Hochleistungssport nicht mehr einverstanden war und mich herausgenommen hat, wurde das klassische Ballett zunächst ein Ersatz für den Leistungssport. Ganz schnell habe ich aber bemerkt, dass es nicht zum Ersatz wurde, sondern eine Leidenschaft weckte, die ich bis dahin gar nicht so kannte. Ich hatte glücklicherweise alle körperlichen Voraussetzungen für eine professionelle Ballettausbildung, da ich einen sehr weichen (hypermobilen) Körper habe und ab meinem sechsten Lebensjahr zusätzlich Klavierunterricht hatte. Klassische Musik begleitet mich seit meiner frühesten Jugend. Mit der modernen Musik konnte ich zu diesem Zeitpunkt nichts anfangen. Meine Eltern nahmen mich auch schon als Kind mit in die Oper und ins Ballett. Besuche in verschiedenen Opernhäusern waren für mich immer sehr beeindruckend und aufregend. Vom Hochleistungssport geprägt und der Leidenschaft zu klassischer Musik, wurde Ballett zu etwas ganz Besonderem. Nachdem in Ostfildern Gabriele Paulitschek, eine ehemalige Lehrerin der John Cranko Schule, ihre eigene Schule eröffnet hatte, wurde Sie und das klassische Training bei ihr zu einem meiner wichtigsten Bestandteile in meiner Jugend. Ich habe mehr Zeit im Ballettsaal verbracht also anderswo. Sie und das damalige Team ihrer Schule mit verschiedenen Lehrern in Bodenarbeit, modernem und klassischem Ballett lösten schließlich den Wunsch aus, den Weg in eine berufliche Ballettausbildung einzuschlagen.

Wer waren Ihre wichtigsten Mentorinnen und Mentoren?
Es gab sehr viele Ballettlehrer/-innen und Ballettmeister/-innen in meiner Ausbildung. Drei möchte ich persönlich erwähnen, denn Sie waren vielleicht die wichtigsten auf meinem Weg. Gabriele Paulitschek, ehemalige Lehrerin der John Cranko Schule, hat die Leidenschaft in meiner Jugend geweckt und den Grundstein für eine präzise Technik gelegt. Zusätzlich hat sie mich geprägt, die Ballett-Technik immer anatomisch und kritisch zu hinterfragen und achtsam mit dem Körper umzugehen. Bis heute trainiere ich selbst noch bei ihr in einer Klasse mit anderen Ballettpädagogen.
Angelika Bulfinsky, Ballettmeisterin im Stuttgarter Ballett, hat mich im klassischen Ballett und Pilates trainiert und ermutigt eine Ballettpädagogen- und Pilates Ausbildung zu absolvieren. Sie war auch die Initiatorin mit dem Unterricht hier am Zollberg zu beginnen. Angelika ist bis heute ein wichtiger Bestandteil der ganzen Familie. Uns prägt eine tiefe Freundschaft auch über den Beruf hinaus. Dadurch, dass uns die Liebe zur Natur und zu Hunden sehr verbindet, sehen wir uns nicht nur im Theater und Ballettsaal, sondern verbringen auch viele Stunden beim Gassigehen mit unseren Hunden und tiefen Gesprächen. Die dritte wichtige Person meiner Ausbildung ist Eva Steinbrecher, ehemalige Solistin im Stuttgarter Ballett und Gründerin der Ballettseminare Stuttgart, einer Ausbildungsinstitution für Ballettpädagogen. Sie hat mich nach dem Waganowa Lehrplan St. Petersburg ausgebildet und hat mit ihrem Ausbildungskonzept ein Lehrsystem entwickelt, welches durch einen ausgearbeiteten professionellen Lehrplan ermöglicht, diese Methode auch in privaten Schulen anzuwenden. Dieser auf europäische Schulen angepasster Lehrplan, hat mir am Anfang sehr geholfen eine Struktur ins Unterrichten zu bringen.

Was war Ihr schönster Moment, was Ihre größte Enttäuschung?
Ich fange mit der größten Enttäuschung an: Bis zum Abitur habe ich täglich mehrere Stunden trainiert und war bestens vorbereitet in der Hochschule für Musik und Tanz in Mannheim das Studium zur Tanzpädagogik zu beginnen. Da ich auf der Bühne bei Vorstellungen doch immer sehr großes Lampenfieber hatte und die Karriere als Ballerina sehr kurz ist, habe ich mich gezielt für die Tanzpädagogik entschieden. Ich habe immer schon lieber die ganze Materie anatomisch und technisch analysiert, beobachtet und anderen vermittelt. Daher bestand der Berufswunsch schon von Anfang an fest, Ballettpädagogin zu werden. Noch während der Abiturprüfungen habe ich leider das Pfeiffersche Drüsenfieber bekommen und wohl nicht lange genug auskuriert. Während eines Trainings kam der große Zusammenbruch mit der Diagnose Herzmuskelentzündung. Das hieß sofort ein Trainingsstopp mit unbekanntem Ausgang. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen, ich durfte keinen Sport mehr machen und musste mich über 6 Monate schonen. Das Studium durfte ich aus ärztlicher Sicht nicht mehr antreten. Somit waren alle Pläne und Träume vorerst dahin.

Meine Eltern waren einerseits sehr besorgt, andererseits auch erleichtert, denn jetzt konnte ich in ihren Augen etwas „Richtiges“ studieren. Nachdem ich nach fast einem Jahr wieder einigermaßen kuriert war, verlief mein Berufsweg dann so, dass ich an der Universität Tübingen zunächst Pharmazie studierte, aber doch gemerkt habe, dass mich die Medizin und der menschliche Körper noch mehr interessierte. Ich habe dann an der Medizinisch-Technischen Akademie den labormedizinischen Zweig gewählt. Nach dem Staatsexamen habe ich am pathologischen Institut in Esslingen gearbeitet. Ich hatte dort eine Arbeit gefunden, mich wieder bis ins Detail mit dem menschlichen Körper auseinanderzusetzen. Es faszinierte mich den menschlichen Körper auch von innen kennen und analysieren zu lernen. Mein damaliger Chef, mit dem ich viele Stunden im Sektionssaal verbrachte, war ebenfalls ein Freund von Oper und klassischem Ballett. Er hat mir die Möglichkeit meiner Dienstzeiten so eingerichtet, dass ich mein klassisches Balletttraining nach der Arbeit wieder aufnehmen und ausüben konnte. Es war eine besondere Zeit. Morgens stand ich am Sektionstisch, mittags im Labor und abends im Ballettsaal. In dieser Zeit habe ich dann lustigerweise beim Hundespaziergang meinen Mann kennengelernt.
Nachdem wir zusammengezogen sind, haben wir dann auch recht schnell geheiratet, da sich unsere erste Tochter ankündigte. Nach der Geburt war die Arbeit in der Pathologie vom Tagesablauf nicht mehr möglich und da ich gerne unterrichten wollte, habe ich ein medizinisches Pädagogikstudium absolviert, um als Dozentin lehren zu dürfen. In dieser Zeit kam dann unsere zweite und dritte Tochter zur Welt. Schon während des Studiums habe ich an der „Medizinisch-Technischen Akademie Esslingen“ die Dozentenstelle für das Fach Elektrodiagnose, also der Herz-Kreislaufdiagnose übernommen. Danach kamen noch die Fächer Chemie, Biologie und Hygienelehre dazu. Ich habe diese Fächer über zehn Jahre gelehrt, während unsere Kinder den Kindergarten, die Grundschule und das Gymnasium besuchten. Gleichzeitig habe ich selbst das klassische Ballett weiter ausgeübt und auch unsere Töchter haben mit vier Jahren hobbymäßig damit begonnen.

© privat

Mein schönster Moment: Der Auslöser für eine eigene Ballettschule war das Kennenlernen der Ballettmeisterin Angelika Bulfinsky. Nach einer Familienführung im Staatstheater Stuttgart mit anschließendem Probetraining ist ihr unsere älteste Tochter Sophie aufgefallen. Sie hat uns nach dem Unterricht angesprochen, dass sie ihr aufgefallen sei und sie sie gerne unterrichten würde und sobald sie etwas älter wäre, auch in den großen Balletten einsetzen würde. Wir hatten zu dieser Zeit bereits unser Haus umgebaut und es mit einem kleinen Ballettsaal ausgestattet. Ich hatte mir mit diesem Saal ein wenig von meinem Jugendtraum zurückerobert und konnte so mein Training zu Hause fortführen. Jetzt war Angelika so angetan von uns, dass sie uns angeboten hatte, Sophie persönlich zu trainieren. Somit kam sie zu uns nach Hause und hat schließlich alle drei Töchter außerhalb des normalen Trainings in ihrer Ballettschule noch zusätzlich unterrichtet. Es entstand eine tiefe Freundschaft zur Familie und so kam auch mein ehemaliger Berufswunsch zur Sprache. Angelika meinte, es wäre nie zu spät, ich solle doch nach so vielen Jahren Erfahrung und Training die Ballettpädagogenausbildung der Stuttgarter Ballettseminare absolvieren. Zunächst war ich sehr skeptisch, ob ich nicht zu alt dafür wäre und ob ich überhaupt noch gut genug trainiert war, aber dann habe ich mit der Ausbildung für Kinderballettklassen begonnen. Es lief so gut, dass ich dann schließlich auch die höheren Klassen bis zum Diplom abschließen konnte.

Niemals hätte ich gedacht, diese Ausbildung doch noch zu schaffen. Um Erfahrungen zu sammeln habe ich zuerst in einer großen Ballettschule in Esslingen angefangen zu unterrichten.
Gleichzeitig war ich aber noch Dozentin an der Medizinisch-Technischen Akademie. In der Nachbarschaft hat es sich allmählich auch herumgesprochen, dass bei uns Ballettunterricht stattfindet. Allerdings wollte ich unseren kleinen Saal nicht der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ich hatte nur ein paar Freundinnen unserer Töchter angeboten zu unterrichten. Das brachte den Stein endgültig ins Rollen. 
Es kamen immer mehr Anfragen. Schließlich musste ich mich für einen Beruf entscheiden und da die Bedingungen an der Medizinisch-Technischen Akademie nicht die besten waren und ich an der Esslinger Ballettschule keine weiteren Klassen übernehmen konnte, habe ich mich ganz dem Unterrichten hier am Zollberg zugewandt und die kleine Schule „Ballett am Zollberg“ gegründet. Ein großer Erfolg war schließlich als nach ein paar Jahren unsere kleine Schule beim Regierungspräsidium Stuttgart als berufsvorbereitende Schule für künstlerischen Bühnentanz anerkannt wurde. Zusätzlich habe ich weitere Fort- und Ausbildungen im Gesundheitsbereich besucht, da mir persönlich die medizinischen Aspekte, mit zunehmendem Alter auch immer wichtiger erscheinen.

Heute bin ich nicht mehr enttäuscht, dass mir das Tanzstudium zunächst verwehrt wurde. Im Gegenteil, ich bin sehr dankbar, dass alles so gekommen ist, wie es ist. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, Einblicke in die Medizin zu haben. Ich unterrichte klassisches Ballett, aber ich bin seit 2018 auch Dozentin für Anatomie am Stuttgarter Ballettseminar. Somit kann ich das Ballett und die Medizin verbinden und angehende Ballettlehrer/-innen auch ein wenig in Richtung eines gesunden Trainings beeinflussen.

Wann reifte der der Entschluss eine eigene Ballettschule zu gründen und auf welche Zeit blicken Sie zurück?
Nachdem ich in Esslingen an der Ballettschule keine weiteren Stunden übernehmen konnte und die Nachfrage hier am Zollberg über die Nachbarschaft hinausging, musste ich mich langsam für eine Richtung entscheiden. Ich habe schließlich die Ballettstunden in Esslingen und die Dozentenstelle an der Akademie aufgegeben und mich ganz dem Unterricht und den Gruppen am Zollberg gewidmet. Wäre nicht die Corona Pandemie gekommen, wären auch nie Zweifel aufgekommen. In dieser Zeit war ich kurz davor die Schule wieder aufzugeben und in den alten Beruf zurückzugehen. Allerdings gab es zu dieser Zeit keine freie Dozentenstelle und somit beschloss ich doch weiterzukämpfen. Heute bin ich froh, durchgehalten zu haben. Das Unterrichten von Ballett und Pilates ist nach wie vor einer der schönsten Berufe, die ich mir vorstellen kann.

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Ihre drei Töchter sind ebenfalls Tänzerinnen. Wie haben Sie sie über die Jahre hinweg begleiten können?
Alle drei haben eine klassische Grundausbildung absolviert. Unsere mittlere Tochter hat allerdings mit 18 Jahren das Ballett an den Nagel gehängt und war nie so begeistert davon. Unsere älteste Tochter hatte das Glück ab 16 Jahren im Stuttgarter Ballett in fast allen großen Ballettklassikern auf der Bühne zu stehen. Unsere jüngste Tochter hat mit drei Jahren zum ersten Mal das Dornröschen im Stuttgarter Ballett gesehen und beschlossen, dass sie in diesem Stück auch auf der Bühne stehen will. Sie hatte und hat so großen Ehrgeiz und es tatsächlich mit 15 geschafft im Dornröschen eine Rolle zu bekommen. Ich habe nie verlangt, dass sie tanzen. Es war immer ihre eigene Entscheidung. Auch hätten sie zu jeder Zeit aufhören dürfen. Es gab immer wieder auch Durchhänger und Tage, an welchen sie keine Lust auf das Training hatten. Unsere mittlere Tochter entdeckte den Stepptanz und hat sich schließlich ganz dieser Richtung gewidmet.

Alle drei Töchter hatten immer die Möglichkeit, auch andere Sportarten und Instrumente zu lernen. Allerdings hätten sie selbst mit Vorschlägen oder Ideen kommen müssen. Da sie in anderen Sportarten wieder als Anfänger hätten beginnen müssen, sind dann doch alle beim Ballett geblieben. Der Tanz war so ein fester Bestandteil über die Jahre geworden, dass sie gar nichts anderes versuchen wollten. Durch das regelmäßige Training haben sie sehr viel Disziplin auch in anderen Bereichen entwickelt. Unsere jüngste Tochter meinte einmal, dadurch dass sie jeden Tag ins Training musste und am Wochenende auf der Bühne stand, wäre sie schon früh gezwungen worden, ihre Zeit sinnvoll einzuteilen und sich zu organisieren. Das würde ihr heute helfen als Tänzerin zu arbeiten und gleichzeitig ein Studium zu absolvieren.

Was für ein Gefühl ist es im Publikum zu sitzen und die eigenen Töchter auf der Bühne zu sehen?
Natürlich ist jede Mama stolz ihr Kind auf einer großen Bühne tanzen zu sehen. Seltsamerweise habe ich immer mehr Lampenfieber und Herzklopfen als meine Töchter selbst. Das Lampenfieber ist seit meiner Jugend auch nicht weniger geworden. 

Was ist in Ihren Augen besonders wichtig, den Kindern und Jugendlichen pädagogisch mit auf den Weg zu geben, wenn sie Ballett tanzen möchten?
Mir ist es inzwischen wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen ein gutes Körpergefühl entwickeln. Viel wichtiger als die die ganze Tanztechnik ist, dass die Kinder lernen in sich hinein zu spüren und zu analysieren lernen, was ihnen guttut und was nicht. Ich möchte ihnen auch vermitteln, wo ihre Grenzen sind und zu reflektieren, was für ihre Situation angemessen ist und was zu viel für ihren Körper ist.

Wie sehen Sie den heutigen Weg junger Balletttänzerinnen und -tänzer, gerade auch aus Ihrer Erfahrung als Mutter heraus?
Den professionellen Weg würde ich aus eigener Erfahrung und aus Erfahrung als Mutter tatsächlich niemanden empfehlen. So hart das vielleicht klingt aber wir haben dabei keine guten Erfahrungen gemacht. Im professionellen Bereich sind die Themen Magersucht, Verletzungsgefahr und ungesundes Übertraining immer noch ganz ernst zu nehmen. Dadurch dass der optimale Ballettkörper leicht und flexibel sein muss, hungern sich immer noch viele Mädchen in die vorgeschriebene Form. Selbst beim Vortanzen für ein Studium, das zur Tanzpädagogik und nicht zum Bühnentanz führt, wird man heute immer noch aussortiert, wenn die Körperformen nicht dem Ideal entsprechen. Genauso schlimm ist das Überdehnen der Gelenke und Bänder. Es gibt flexiblere und weniger flexible Körper. Ich habe festgestellt auch mit extremem Ehrgeiz kann ein weniger flexiblerer Körper nicht in die Dehnung trainiert werden, die heute im professionellen Bereich verlangt werden. Oft versuchen die Mädchen mit aller Gewalt und Ehrgeiz dies zu erreichen, obwohl ihr Körper anatomisch vielleicht gar nicht dafür geeignet ist, was dann wieder zu erhöhter Verletzungsgefahr führt.

Der internationale Konkurrenzdruck ist so hoch, dass die psychischen Belastungen zu versagen oder nicht mithalten zu können, sehr auf die Psyche und das Selbstwertgefühl der Jugendlichen drückt. Ständig zu hören und zu spüren, dass man nicht gut genug ist und ständig unter dem Druck der Prüfungen zu stehen, um nach dem nächsten Semester aussortiert zu werden, kann man eigentlich niemanden empfehlen. Auch haben wir durch unser Schulsystem nicht die Möglichkeiten so viel zu trainieren, wie es die asiatischen oder osteuropäischen Länder leisten. Dazu kommt noch die Anatomie. Asiatische Körper sind von der Knochen- und Bänderstruktur ganz anders gebaut. Dazu werden die Anforderungen im Tanz auch immer höher, dass ich aus medizinischer Sicht zu keiner professionellen Ausbildung mehr raten würde.

Was würden Sie Eltern empfehlen, die ihre Kinder durch eine Karriere als Tänzer begleiten? Wo gilt es vielleicht zu fördern, wo gilt es vielleicht auch zu schützen?
Wichtig für die Eltern, deren Kinder in eine professionelle Tanzausbildung gehen, ist, dass die Eltern ein absolut offenes und vertrauliches Verhältnis zu ihren Kindern haben. Es muss von beiden Seiten die Sicherheit bestehen, dass die Kinder wirklich bedingungslos alles ihren Eltern anvertrauen und erzählen können und wollen und das auch tun. Sowohl die Mitschüler/-innen als auch die Lehrer/-innen üben so einen starken Einfluss und Druck aus, dass nur sehr starke Persönlichkeiten diesem Druck standhalten können. Viele Mitschüler/-innen sind sehr darauf fixiert, wenig zu Essen und versuchen natürlich ihr Umfeld mit zu beeinflussen. Ebenso verlangen die Lehrer/-innen absolute Disziplin und Hochleistung, auch wenn die Kinder oft gesundheitlich angeschlagen sind oder bereits Schmerzen haben, was nicht selten zu Verletzungen oder Schlimmeren führt. Krank sein, gibt es nicht. Da sollten die Eltern immer ein achtsames Auge darauf haben. Auch, dass die Kinder nicht heimlich anfangen, weniger zu essen. Oft fangen die Kinder in der Pubertät auch an, nichts mehr erzählen zu wollen. Dann wird es schwierig, auch gerade, wenn man als Eltern anfängt, nachzufragen und die Kinder sich verschließen. Diese Zeit ist eine kritische Zeit für die Eltern. Gerade in einer klassischen Ballettausbildung ist es sehr schwierig, dass die Kinder nicht entgleiten. Wir haben das große Glück, dass wir eine sehr offene und sehr lebhafte Familie sind. Bei uns wurde und werden bis heute wirklich alle Themen am Familientisch diskutiert. Oft gibt es sehr heftige und laute Diskussionen aber wir haben bisher immer gemeinsam zu einer Lösung gefunden. Es ist so wichtig ein offenes Ohr und Verständnis für die Kinder zu haben, auch wenn deren Ideen manchmal nicht mit unseren Vorstellungen übereinstimmen. Das musste ich auch erst lernen und fällt mir immer noch schwer.

© Robby Arts Photography

Worauf achten Sie in Ihrem Ballettunterricht besonders und was ist Ihr Credo, wonach sie unterrichten?
Als ich mit dem Unterrichten angefangen habe, war ich selbst noch sehr vom professionellen Trainingsstiel der staatlichen Schulen geprägt und glaubte daran, die Kinder, die hier in den Unterricht kommen, würden gerne einen Unterricht besuchen, der ihnen das klassische Ballett nach präzisester Technik und Lehrplan beibringt. Leider war ich in den ersten Unterrichtsjahren sehr enttäuscht, dass der größte Anteil an Kindern und Jugendlichen die körperlichen, musikalischen und auch disziplinären Voraussetzungen gar nicht mitbrachten und mein Unterricht sie überforderte. Ich habe versucht nach dem Lehrplan der tänzerischen Früherziehung oder Ballettvorstufe für die Fünfjährigen zu unterrichten. Leider musste ich schnell feststellen, dass die Kinder hier in diesem Alter motorisch nicht so weit sind und auch keine Bereitschaft dafür gezeigt haben an den Übungen konzentriert zu bleiben, wie ich es von den staatlichen Schulen gelernt und dann auch erwartet hatte. Es war auch für mich ein längerer Prozess. Anfangs war ich frustriert, dass die Kinder und Jugendlichen einerseits in den Ballettunterricht kommen wollten, andererseits aber nicht bereit waren dafür etwas zu tun. Eine große Anzahl an Schüler und Schülerinnen kommen ein- bis zweimal die Woche und wundern sich im Unterricht, dass die Pirouetten und die Dehnungen nicht besser werden und die Übungen immer ähnlich bleiben. Das hat mich auch zweifeln lassen und mich immer wieder in den Konflikt gebracht, ob es überhaupt das Richtige ist, was ich hier mache. Ich musste meine Ansprüche und die ganze Art meines Unterrichts bedenken und mir die Frage stellen, was will ich den Kindern und Jugendlichen für ihr Leben mitgeben.

Da ich immer an Anfang des Unterrichts meiner Schüler, frage, wie es ihnen geht und ganz kurz nur abkläre, wie die Stimmung gerade so ist, habe ich bemerkt, wieviel Probleme es in jeder Altersstufe privat, schulisch, körperlich und vieles mehr gibt. Auch habe ich immer wieder Mädchen aus dem Leistungssport und Gardetanz in den Unterricht bekommen, die bereits Rückenverletzungen hatten. Das hat mir zu denken geben, dass es eigentlich absolut keinen Sinn macht in der heutigen Zeit, Kinder auf Hochleistung zu trainieren. Ich selbst habe einen hypermobilen Körper. Bei mir sind alle Gelenke und Bänder nicht sehr stabil veranlagt. Das war für die rhythmische Sportgymnastik und für die professionelle Ballettausbildung ein riesiger Vorteil. Ich kann mich ohne Probleme in alle Richtungen verbiegen und dehnen. Es wurde bis zum ungesunden Übermaß forciert. Die Spätfolgen davon sind heute mehrere Bandscheibenvorfälle, instabile Gelenke und die Gefahr in fast allen Gelenken Arthrose zu bekommen. Mit diesen Folgen müssen fast alle Tänzerinnen und Tänzer leben. Eigentlich ist es absolut verrückt, einen Körper so auszubilden. Aus diesem Grund habe ich begonnen einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Ich habe eine Ausbildung in der Wirbelsäulengymnastik und im Pilates gemacht. Da ich selbst mit akuten Bandscheibenvorfällen zu kämpfen hatte und absolut ein Gegner von Operationen bin, habe ich angefangen mich selbst mit Übungen zu behandeln. Ich bin so begeistert, was man durch gezielte Übungen auf der Matte mit Kleingeräten alles erreichen kann, dass ich angefangen habe, regelmäßige Fortbildungen im Gesundheits- und Rehabereich zu besuchen. Mein Credo des Unterrichts ist, dass es mir wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen lernen auf ihren Körper zu hören und auch lernen auf kleinste Missempfindung zu achten und diese deuten zulernen. Ich versuche ihr Bewusstsein zu schulen, was ihre eigenen Stärken aber auch ihre Grenzen sind. Trotzdem möchte ich, dass sie eine saubere Ballett-Technik lernen, aber reflektiert damit umgehen.
Auch ist mir ganz wichtig, dass es in den Gruppen keine Rivalität untereinander gibt, obwohl jeder Stärken und Schwächen hat. Jeder soll an dem arbeiten, was er selbst gerne verbessern möchte, ohne damit anzugeben oder sich mit anderen zu vergleichen. Ich korrigiere nach wie vor alle Fehler und versuche das Beste aus den Einzelnen herauszuholen und biete den Schülern, die es möchten, natürlich auch weiterhin eine Vorbereitung auf eine staatliche Ausbildung an. Immer wieder baue ich bei den Jugendlichen auch Gesundheitsstunden ein, wo wir auf der Matte arbeiten und ich den Schülern ein bisschen etwas über ihre Anatomie erkläre.

Wie haben Sie es in den letzten Jahren geschafft, Ihre Selbständigkeit und Ihre Familie unter einen Hut zu bringen?
Ich habe eine wunderbare Familie. Angefangen von meinem Mann, der mir in allen Dingen immer zur Seite steht und mich unterstützt, obwohl er selbst eine anspruchsvolle Stelle in der Forschung innehat. Solange unsere Töchter noch in der Schule waren, war die Tagesordnung streng geregelt. Wir hatten drei verschiedene Stundenpläne und drei verschiedene Trainingspläne plus die Termine, an denen die Kinder im Theater sein mussten. Da wir noch zwei Hunde hatten, wurden auch die Gassi-Zeiten eingeteilt. Morgens habe ich den Haushalt, die bürokratischen Dinge am PC und einen großen Hundespaziergang übernommen. Am Mittag musste dann immer das Kind, das keine Mittagsschule hatte mit unseren Hunden spazieren. Da ich mittags unterrichte, haben anfangs Oma und Opa die Kinder in ihren Ballettunterricht gefahren und nach den Vorstellungen im Theater, musste dann mein Mann den Abholdienst übernehmen. Ohne einen zuverlässig funktionierenden Zusammenhalt und genauer Absprache, hätte es nicht funktioniert. Die Selbständigkeit in Form des reinen Ballettunterrichts wäre kein Problem. Mich ärgern eher die Schwierigkeiten unserer Bürokratie. Es werden so viele Dinge verlangt, mit denen man sich eigentlich gar nicht auseinandersetzen möchte. Angefangen bei der Versicherung, des Datenschutzes, die Vertragsrechte, der Gema-Gebühren, die jedes Jahr so viel teurer werden, dass inzwischen wegen dieser Gebühren immer mehr Ballettschulen schließen müssen. Ich sitze an manchen Tagen mehr Stunden am PC wegen E-Mails an Eltern, die die Monatsbeiträge nicht bezahlen oder keine ordentliche Kündigung schreiben, die nicht ich, sondern das Finanzamt bei einer Prüfung braucht, als dass ich unterrichte oder Unterricht vorbereite. Da wir nur eine kleine Ballettschule sind und räumlich doch etwas eingeschränkt sind, können wir nur in kleinen Gruppen arbeiten. Die kleinen Gruppen sind sehr vorteilshaft für das Unterrichtsklima und die individuelle Betreuung der Schüler/-innen, aber finanziell nicht sehr profitabel. Leider sind, obwohl wir in den eigenen Räumlichkeiten arbeiten, die laufenden Kosten und Ausgaben wie oben erwähnt, ständig angestiegen, so dass man auch hier gut kalkulieren muss. Den Lebensunterhalt könnte man in diesem Rahmen nicht bestreiten. Ohne das Einkommen meines Mannes, könnten wir nicht davon leben. Die Ballettschule ist ein kleines Zubrot zum Hauptverdiener.

Worauf freuen Sie sich in Zukunft?
Jetzt nachdem unsere Töchter studieren und ausgezogen sind, ist das Haus doch sehr ruhig geworden. Umso mehr freue ich mich weiterhin Kinder und Jugendliche aller Altersstufen am Nachmittag und Abend unterrichten zu dürfen und hoffe noch viele Jahre gesund und fit zu bleiben und vielleicht doch noch die eine oder andere Schülerin auf die große Bühne begleiten zu können.

Liebe Frau Schindler, vielen Dank für dieses persönliche Interview!

Mehr Informationen zur Ballettschule am Zollberg und über Frau Schindlers Arbeit erhaltet ihr hier.