Mein Leben mit wenig


Anita ist 32 Jahre alt und Immobilienmaklerin. Heute verrät sie uns, welche materiellen Dinge in ihrem Leben wichtig sind, mit wie viel, bzw. mit wie wenig, sie auskommt und wie ihre Wohnung eingerichtet ist.

Liebe Anita, Du hast schon immer sparsam gelebt, hattest aber auch andere, konsumorientierte Zeiten, bevor Du den Weg zu Deinem persönlichen, von Minimalismus geprägten Lebensstil eingeschlagen hast. Magst Du uns mehr erzählen?

In meiner Kindheit und in den Jugendjahren bin ich eher mit wenig Konsumgütern aufgewachsen. Schicke Turnschuhe oder Markenjeans waren im Budget meiner Eltern nicht drin, da ich auch noch zwei Schwestern habe. Uns fehlte es an nichts, aber große Sprünge waren eben auch nicht möglich. Während andere aus meiner Klasse zum Abitur ein Auto geschenkt bekamen oder ein Jahr ins Ausland gingen, habe ich gleich mit meiner Berufsausbildung begonnen und auch noch zu Hause gewohnt. Dadurch, dass ich keine eigene Wohnung und kein Auto finanzieren musste, habe ich während meiner Lehre Geld auf die Seite legen, aber auch ausgeben können. Das habe ich unheimlich genossen. Eine schöne Uhr, von der ich schon lange geträumt hatte, tolle Handtaschen – alles ging nun leichter. Als ich nach meiner Ausbildung im Immobilienbereich dann sofort in den Job einstieg und recht schnell gute Abschlüsse machte und zusätzlich zu meinem Grundgehalt Provisionen bekam, da fühlte ich mich fast schon “reich”.

Hast Du dann auch automatisch konsumorientierter gelebt?

Oh ja! Es war, als müsste ich all das nachholen, was mir ein Leben lang eben nicht in die Wiege gelegt worden war. Eine innenstadtnahe Wohnung mit Dachterrasse, ein Cabriolet, schöne Reisen und natürlich Klamotten, Schmuck… all das gehörte jetzt zu meinem Lebensstandard. Diese Dinge erfreuten mich sehr, machten mich zufrieden, wenngleich ich innerlich spürte, dass ich sie nicht wirklich für ein glückliches Leben brauchte. Aber das Geld war eben da, ich konnte nebenher noch sparen und meine Eltern unterstützen, also mal finanziell aushelfen, wenn die Waschmaschine kaputt ging usw.

Wann kam für Dich der Wendepunkt?

Es gab kein konkretes Ereignis, wenn ich recht darüber nachdenke. Ich merkte vor drei, vier Jahren, dass ich immer weniger Freude am Einkaufen und Shoppen hatte. Selbst auf Flohmärkte, die ich bis dato wöchentlich besuchte, hatte ich keine Lust mehr. Es war, als wäre ich gesättigt. Ich merkte: Du hast schon alles. Du brauchst nicht noch eine Vase, nicht noch eine Jacke und mehr als eine Jeans kannst Du eh nicht auf einmal tragen. Im gleichen Zug habe ich angefangen, mich von Dingen zu trennen, die nur noch ungenutzt meine Schränke verstopften. Ich habe ganz viel verschenkt, verkauft und gespendet. Kleider, Handtaschen, Schuhe, Schmuck. Sogar mein Auto habe ich verkauft, als ich beruflich umsattelte und nicht mehr auf einen Wagen angewiesen war. In Berlin ist das Verkehrsnetz sowieso klasse und ein Auto ist hier mehr ein Klotz am Bein als notwendiges Fortbewegungsmittel. Wir haben dann auch im Freundes- und Familienkreis die Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke abgeschafft, eine große Erleichterung. Und ich bin immer wieder meine Besitztümer durchgegangen und habe mich konsequent von dem getrennt, was ich nicht dauernd in Benutzung habe. Da blieb am Schluss echt wenig übrig.

Wie können wir uns die Einrichtung Deiner Wohnung vorstellen?

Also ich habe natürlich schon ein Bett, eine Couch, einen Schreibtisch oder einen Fernseher. Fernsehen tue ich zwar nicht oft aber dennoch gern, vor allem Dokus und Reportagen. Für mich gehört es zu einem minimalistischen Lebensstil auch nicht dazu, auf Smartphone, Laptop oder Fernseher zu verzichten. Aber ansonsten habe ich sicherlich weniger Gegenstände als andere Menschen. Aktuell sind es unter anderem vier Paar Schuhe, drei Jacken, drei Jeans, zwei Schals, sechs Pullover, zwei Handtaschen, ein Rucksack, etwas Schmuck, zwei Uhren. Auch meine Küche ist sparsam ausgestattet: Ein paar Teller, Gläser, Besteck, zwei Töpfe, eine Pfanne. Einen Toaster oder Wasserkocher habe ich nicht, Waschmaschine und Wäscheständer dafür schon. Aber einen Trockner, einen Thermomix oder eine Kitchen-Aid sucht man bei mir vergebens. Mich erfüllt es total bei jedem Gegenstand zu wissen, wo er ist und mich nicht durch Stapel von Dokumenten oder Klamotten wühlen zu müssen. Ich mache meine Schränke auf und auf einen Blick erschließt sich ihr Innenleben. Da durchströmt mich jedes Mal ein richtiges Glücksgefühl. Pedantisch ordentlich bin ich allerdings nicht. Doch allein aus dem Umstand heraus, dass ich recht wenig besitze, ergibt sich eine äußere Ordnung. Und diese äußere Ordnung verhilft mir zu einer inneren Ordnung, was ich sehr schätze. Ich habe also nicht viele überflüssige Reize in meiner Wohnung. Keine Kerzen, Mitbringsel aus dem Urlaub, Kuscheltiere aus alten Zeiten oder ähnliches. Aber eine Kiste mit Schätzen habe ich natürlich schon. Da sind alte Fotos und Briefe drin, die Eheringe meiner Großeltern… Von dieser Kiste würde ich mich auch nie trennen.

Du lebst schon länger in einer Beziehung. Wie steht Dein Freund zum Thema Minimalismus?

Ich bin sehr froh, denn Paul ist ganz ähnlich aufgestellt wie ich. Er arbeitet im IT-Bereich und ist wahrscheinlich das, was man als typisch männlich bezeichnen würde: Keine Pflanzen, keine Bilder, wenig Klamotten und Schuhe, einen Rucksack und sein ganzes Leben, also alles was mit Fotos, Musik, Zeugnissen, privaten Unterlagen zu tun hat, in der Cloud und auf dem Laptop. Unsere Wohnungen zusammenzulegen und uns in unseren vier Wänden gemeinsam einzurichten, war für uns überhaupt kein Problem. Zumindest nicht, was das Materielle angeht. Von den Einrichtungsgegenständen ist es nicht mehr geworden, im Gegenteil. Nachdem Paul bei mir eingezogen war, haben wir nochmals aussortiert und Überflüssiges verschenkt bzw. gespendet. Wir hatten beispielsweise zwei Staubsauger, Wäscheständer etc. Das haben wir natürlich reduziert. Wir fühlen uns beide sehr wohl in unserer übersichtlichen Wohnung. Eine Partnerschaft mit jemandem, der zum Beispiel ein richtiger Sammler ist oder sich stark über Konsum definiert, das könnte ich mir nicht vorstellen.

Geht ihr denn auch gern aus und fahrt ihr in Urlaub?

Auf jeden Fall! Und zwar gern und häufig. Das hat für uns auch nichts mit Minimalismus des täglichen Lebens zu tun. Der bezieht sich eher auf unsere persönlichen Besitztümer, deren Zahl wir so gering wie möglich zu halten versuchen. Wir gehen gern tanzen, gern auf einen Drink in die Strand-Bar, gern ins Kino. Und ebenso gern fahren wir an die Ostsee oder fliegen nach Griechenland, Spanien. Und auch wir schaffen uns durchaus mal etwas für die eigenen vier Wände an. Neulich haben wir ein riesiges Bild von Freunden übernommen, das nun im Wohnzimmer hängt und toll aussieht. Unsere Wohnung ist übrigens wirklich gemütlich, auch wenn es sich vielleicht nicht so anhört. Sie ist hell, groß und einerseits zweckmäßig, andererseits aber auch heimelig eingerichtet.

Denkt ihr auch über Kinder nach? Und wie stellt ihr euch ein Leben als Familie in Bezug auf Minimalismus vor?

Oh ja, das tun wir. Bisher hat es noch nicht geklappt, aber ich denke, in den kommenden Monaten oder ein bis zwei Jahren werden wir sicher zu dritt und wer weiß, vielleicht auch irgendwann einmal zu viert sein. Mir ist klar, dass wir dann mehr Dinge brauchen, allein schon von der Babyausstattung her. Aber das beunruhigt mich nicht, im Gegenteil. Über den Kleiderkreisel kann man so viel gebraucht erwerben, hier in Berlin gibt es tolle Flohmärkte und viele unserer Freunde haben bereits Nachwuchs, so dass wir viel Second Hand übernehmen können. Klar, erst einmal ist es mehr Zeug, das man braucht. Vom Tragetuch über Windeln, Spielzeug, Babybett etc. Und auch später möchten wir unseren Kindern kein Spielzeug vorenthalten. Sie sollen ganz “normal” aufwachsen, tolle Geschenke zum Geburtstag bekommen und sich von ihrem Taschengeld ihre ganz eigenen Wünsche erfüllen können. Wahrscheinlich werden wir nie die Eltern sein, die noch das zehnte Paar Turnschuhe oder die zwanzigste Barbie spendieren. Aber wichtig finde ich, dass die Kinder selbst einmal entscheiden können, wie sie leben wollen. Ein Stück weit werden sie natürlich automatisch unseren Lebensstil mittragen. Toll wäre es natürlich, wenn sie uns als Vorbild sehen und später, als Erwachsene auch mit wenig auskommen und sich nicht auf Statussymbole wie Klamotten oder Autos reduzieren bzw. sich darüber definieren. Aber jeder ist anders und ich will meinen Kindern nichts aufzwingen, da sie vielleicht irgendwann einmal anders sehen und anders leben wollen. Aber bis dahin ist ja noch viel Zeit. Und ich denke, die Tendenz geht zu einem reduzierten Haushalt. Viele junge Leute haben heute schon kein eigenes Auto mehr, sondern nutzen bei Bedarf Car Sharing. Das Modell der Tiny Houses kommt immer mehr in Mode und auch durch Themen wie Zero Waste und Nachhaltigkeit rückt ein anderes Lebensmodell in den Fokus der jüngeren Generation.

Was möchtest Du in Zukunft noch in Deinen aktuellen Lebensstil integrieren?

Ich würde gern weniger Müll produzieren und mein Konsumverhalten auch im Lebensmittelbereich optimieren. Wenn ich den ganzen Plastikmüll sehe, der nach einem Einkauf zusammenkommt, wird mir ganz anders. Gerade in Berlin gibt es ja mittlerweile einige Unverpackt-Läden, auch hier in unserem Kiez. Das ist wirklich eine reine Disziplin-Sache, das man konsequent dort einkaufen geht. Immerhin haben wir uns schon von dem ganzen Einweg- und Mehrwegthema verabschiedet. Denn seitdem wir kein Auto mehr haben war klar, dass wir keine Getränkekästen mehr kaufen können und wollen, egal ob Plastikflaschen oder Glasflaschen. Wir haben schon seit längerer Zeit einen Soda Stream und versetzen damit bei Bedarf das Leitungswasser mit Kohlensäure. Meist trinken wir jedoch das Leitungswasser direkt und ohne Aufsprudeln. Tee und Kaffee sind sowieso kein Problem. Aber wie gesagt, es gibt noch einiges zu tun und ich mache mir keine Illusionen, dass es gerade mit Kind nicht unbedingt leichter wird, dass man müllvermeidend einkauft. Aber wir werden versuchen, uns in den nächsten Monaten konsequent umzustellen und ich bin sicher, das wird gelingen. Sicher nicht immer perfekt, aber das ist ja auch völlig in Ordnung. Wenn man zu dogmatisch an die Dinge herangeht, kommt oft weniger als gewünscht dabei heraus. Vielleicht kann ich ja in einem Jahr berichten, wo Paul und ich hinsichtlich unserer Vorhaben stehen.

Liebe Anita, vielen Dank für dieses interessante Interview und bis zum nächsten Gespräch, auf das wir uns sehr freuen!