Einsam statt zweisam – Plötzlich alleinerziehend
In diesem Interview erzählt Jelena von ihrem Alltag als alleinerziehende Mutter und wie schwer es ist, Kind und Beruf zu vereinbaren, finanzielle Belastungen zu stemmen und den Spagat zwischen Zeit- und Geldmangel zu schaffen.
Liebe Jelena, Du bist ein Familienmensch, musstest jedoch ohne einen Partner an Deiner Seite in die Familienzeit starten. Wie kam es dazu und wie verliefen die ersten Wochen Deiner Schwangerschaft für Dich?
Jelena: Mein Traum war es immer, ein glückliches Familienleben zu führen. Gern mit vielen Kindern, denn ich bin selbst mit vielen Geschwistern aufgewachsen. Dass ich einmal alleinerziehend sein würde, damit hätte ich nie gerechnet. Ich lernte den Vater meines Sohnes an der Universität in London kennen, wo ich ein duales Bachelor-Studium absolvierte und seit einiger Zeit lebte. Wir sprachen immer wieder davon, eigene Kinder zu haben und eine Zukunft in London aufzubauen. Nach eineinhalb Jahren Beziehung wurde ich schwanger. Ich freute mich riesig über diese Nachricht. Mein Partner teilte diese Freude nur anfänglich. Er machte sich Sorgen um unsere finanzielle Zukunft, fühlte sich der Situation nicht gewachsen, wurde zunehmend verschlossener. Der Graben zwischen uns wurde immer tiefer. Es kam zur Trennung. Für mich war das ein großer Schock.
In welchem Schwangerschaftsmonat hast Du Dich zu diesem Zeitpunkt befunden?
Jelena: Ich war bereits im 4. Monat schwanger. Gott sei Dank hatte ich meine Abschlussprüfungen an der Universität sehr gut bestanden, worauf ich noch heute stolz bin. Ich ahnte zwar, dass die nächsten Monate und Jahre hart werden würden, aber gleichzeitig gab mir mein Baby Kraft und Mut und ich habe nie darüber nachgedacht, es nicht zu behalten. Ich musste einfach stark für uns beide sein. Leider ist die Schwangerschaftsbegleitung in England längst nicht so umfangreich wie in Deutschland. Ich hatte meine Schwangerschaft Ende des 3. Monats festgestellt und, bis ich den ersten Termin beim Facharzt bekam, war ich bereits im 5. Monat. Doch mit dem Baby war alles in Ordnung, wie der erste Ultraschall zeigte. Dennoch war ich beunruhigt und in Sorge. Mich plagten Zukunftsängste und der Rückhalt meines Partners fehlte mir. Trotz meiner großen Enttäuschung wünschte ich mir, dass er sich in irgendeiner Form melden oder kümmern würde, und gab diese Hoffnung lange Zeit nicht auf. Doch der Kontakt war abgebrochen. Es tat mir weh, viele schöne Ereignisse, wie den ersten Ultraschall oder die ersten Kindsbewegungen im Bauch, ungeachtet allen Zorns, nicht mit ihm teilen zu können. Ich hatte mich in London immer sehr wohl gefühlt. Es war mein Traum gewesen, in dieser Stadt zu leben und zu arbeiten. Doch dieses Wohlgefühl verflüchtigte sich von Tag zu Tag mehr. Im 6. Schwangerschaftsmonat flog ich nach Deutschland, wo ein großes jährliches Familientreffen anstand. Ich merkte einmal mehr, wie wichtig mir meine Familie ist und dass ich ihren Rückhalt in meiner Zeit als alleinerziehende Mutter brauchen würde. Ich wäre sicherlich in London geblieben, wenn ich mir Chancen auf einen guten Kontakt zum Vater meines Kindes ausgerechnet hätte. Aber was sollte ich alleinerziehend in London? Ich entschloss mich, nach Deutschland zurückzukehren.
Bezüglich Deiner Rückkehr musstest Du innerhalb kürzester Zeit viel regeln. Wie bist Du die Dinge angegangen?
Jelena: Meine dringlichste Frage zu dieser Zeit war: Wohin soll ich in Deutschland gehen? Ich hatte dort keine Unterkunft, konnte mir, so frisch vom Studium und ohne feste Anstellung, auch keine Wohnung leisten. Meine Familie, deren Unterstützung einfach großartig war, wusste um meine Situation und meine Not. Meine älteste Schwester, die mit ihrem Mann in Süddeutschland wohnte und zu diesem Zeitpunkt vier Kinder hatte, bot mir an, die erste Zeit bei ihr zu leben. Sie wollte mir in den letzten Schwangerschaftswochen und nach der Geburt mit Rat und Tat und allem vorhandenen Baby-Equipment zur Seite stehen, da ich mir keine komplette Baby-Erstausstattung hätte leisten können. Hochschwanger stemmte ich den Umzug nach Deutschland, was sehr anstrengend war, da es viel zu organisieren gab. In Süddeutschland lebte ich mich schnell ein. Es gab viel zu tun, denn bis zur Geburt meines Sohnes waren es mittlerweile nur noch wenige Wochen. Bisher hatte ich mich nur wenig mit Fragen zur Geburt oder mit der Zeit nach der Entbindung auseinandersetzen können. Also besuchte ich einen Geburtsvorbereitungskurs für alleinerziehende Eltern. Denn trotz aller positiver Entwicklung gab es nichts zu beschönigen: Die Geburt würde ich ohne Partner an meiner Seite bewältigen müssen. Diese Tatsache machte mich immer wieder traurig, auf der anderen Seite aber auch stark. Im Geburtsvorbereitungskurs erkannte ich, dass es noch mehr Mütter gab, die ihren Weg allein gingen. Das gab mir Kraft. Am Neujahrstag hielt ich meinen gesunden Sohn Elias in den Armen.
Wie verliefen die ersten gemeinsamen Wochen mit Elias?
Jelena: Sie waren sehr schön und geprägt vom simplen Rhythmus des Versorgens, Kuschelns, Stillens. Ich konnte mich an meinem Sohn kaum sattsehen, war überglücklich, ihn gesund in den Armen zu halten. Glücklich machte mich ebenfalls, dass ich Elias eine Ersatz-Familie bieten konnte. Zwar nicht die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie, aber dennoch eine intakte Familiensituation mit stolzen kleinen Cousinen und Cousins, die Elias wie einen Bruder annahmen. Unmittelbar nach Eliasʾ Geburt waren meine Eltern, mein Bruder und meine jüngere Schwester angereist, um uns zu besuchen. Wir pflegten einen sehr engen Kontakt, alle hatten stets ein offenes Ohr für Fragen oder munterten mich auf, wenn es mal nicht so gut lief. Auf der anderen Seite war ich unerfahren und mir wurde, trotz der liebevollen Unterstützung meiner Schwester, von Tag zu Tag bewusster, dass ich die alleinige Verantwortung für mein Baby trug. Ich konnte mich nicht auf einen Partner verlassen oder auf seine Entlastung zählen. Meine Schwester war mit ihren vier Kindern sehr eingebunden, sodass ich niemanden hatte, an den ich Elias regelmäßig hätte abgeben können, um mich auszuruhen und Kraft zu schöpfen. In der Schwangerschaft war ich stark und voller Energie gewesen. Doch bereits kurze Zeit nach Eliasʾ Geburt durchlebte ich die Trennung von meinem früheren Partner nochmals sehr intensiv und verarbeitete erst langsam meine Enttäuschung. Ich fiel in ein richtig tiefes Loch und hatte Sorge, aus diesem allein nicht mehr herauszukommen. Ich raffte mich auf und suchte mir Hilfe in einem Familientherapiezentrum, dem eine Beratungsstelle für alleinerziehende Mütter und Väter angegliedert war. Die dortige Sozialpädagogin stand mir in vielen Gesprächen zur Seite. Stück für Stück arbeitete ich das Erlebte gemeinsam mit ihr auf. Durch Hausaufgaben sollte ich mich mit meiner Situation auseinandersetzen. Beispielsweise schrieb ich auf, warum ich eine gute Mutter bin, oder machte mir Gedanken, was ich selbst an mir mag. Diese Gespräche und die schriftlichen Hausaufgaben veränderten meinen Blickwinkel auf meine Situation.
Gab es weitere Hürden, mit denen Du Dich auseinandersetzen musstest?
Jelena: Mein finanzielles Polster war gleich Null. Mein befristeter Arbeitsvertrag in London war ausgelaufen, und seit meiner Rückkehr im 8. Schwangerschaftsmonat war ich natürlich bei keiner deutschen Firma angestellt gewesen und in Mutterschutz gegangen, sodass ich keine Absicherung durch einen Arbeitgeber hatte. Ich war immer selbstständig gewesen, hatte mein eigenes Geld verdient. Es war nie meine Art gewesen, mich auf fremde Hilfe zu verlassen oder mich auf dem Geld anderer auszuruhen. Von Eliasʼ Vater bekam ich keinen Unterhalt. Vielleicht hätte ich diesen einklagen können, aber mir erschien ein Rechtsstreit über die Landesgrenzen hinweg relativ aussichtslos. Vor allem wenn der Vater nicht angibt, dass er arbeitet, wird es richtig schwer, Unterhalt zu bekommen. Über die aktuellen Einkommensverhältnisse meines Ex-Partners wusste ich beispielsweise gar nichts. Und wie gesagt, für einen Rechtsstreit hatte ich weder die Kraft noch die Zeit noch die finanziellen Mittel – wie die meisten Alleinerziehenden in meiner Situation. So musste ich mit sehr wenig Geld auskommen. Ich erhielt Arbeitslosengeld und Kindergeld. Dann gab es beispielsweise noch Bezuschussungen wie eine Familienkarte mit 90 Euro Jahresguthaben für Gesundheitskurse oder eine Bonuskarte, die reduzierten Eintritt für kulturelle Einrichtungen oder zum Babyschwimmen ermöglichte. Die finanzielle Absicherung stellt ein großes Problem für fast alle Alleinerziehenden dar, vor allem dann, wenn man keinen Unterhalt vom Kindsvater erhält. Viele alleinerziehende Elternteile leben an der Armutsgrenze. Beim Thema Essen oder Kleidung musste ich mir dreimal überlegen, was ich mir leisten konnte. Das Geld reichte meist nur für das Nötigste. Und wenn ich beispielsweise eine Zahnarztrechnung anteilig privat bezahlen musste, kam ich finanziell schnell ans Limit. An Weihnachten oder am Geburtstag gab es für Elias nur kleine Geschenke und natürlich konnte ich ihm auch kein tolles Kinderzimmer bieten. Dadurch hat er schon früh gelernt, sich an den kleinen Dingen des Lebens zu freuen, was ich heute positiv finde. Denn schnell genug werden die Kinder zu Außenseitern, wenn sie sich später in der Schule kein Handy oder keine Klassenfahrt leisten können.
Außerdem hast Du Elias das wahrscheinlich schönste Geschenk gemacht, das sich Kinder nur wünschen können. Und zwar in Form eines Umzugs …
Jelena: Als Elias ein Jahr alt war, zog ich mit ihm in meine Heimatstadt zu meinen Eltern. Das Leben Seite an Seite mit den Großeltern stellte für ihn eine tolle Bereicherung und für mich eine große emotionale und finanzielle Entlastung dar. Auch meine Eltern waren glücklich, uns bei sich zu haben, und unser Zusammenleben war sehr harmonisch. Dennoch blieb ich als Alleinerziehende natürlich an vielen Fronten ein Einzelkämpfer – egal, ob ich mich mit Ämtern oder Betreuungseinrichtungen, Erziehungsfragen oder Impfentscheidungen beschäftigte. Zeit, um einmal durchzuatmen oder auszuruhen, hatte ich kaum. Eng wurde es immer dann, wenn ich selbst einmal krank wurde und mich nur eingeschränkt um Elias kümmern konnte. Als alleinerziehender Elternteil muss man frühzeitig ein gutes soziales Netzwerk aufbauen, um das Fehlen des Partners an dieser Stelle durch Eltern oder Freundinnen zu kompensieren, die im Notfall einmal einspringen können. Hinzu kam, dass die Beziehung zu meinem ehemaligen Partner nicht einfach war. Er ließ Elias zwar regelmäßig Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke zukommen und suchte telefonischen Kontakt, doch waren unsere Telefonate selten unbelastet. Ich habe jedoch im Laufe der Zeit gelernt, meine persönlichen Emotionen hinten anzustellen, denn es war mir wichtig, Elias den Kontakt zu seinem Vater zu ermöglichen.
Als Du zu Deinen Eltern gezogen bist, war Elias ein Jahr alt. Ein Alter, in dem viele Kinder in der Krippe eingewöhnt werden und die Mütter in ihren Beruf zurückkehren.
Jelena: Die Krippensituation war sehr schwierig. Ich hatte aus Kostengründen kein Auto, war also auf einen Krippenplatz in der Nähe angewiesen. Hier gab es keine freien Plätze. Betreuungsangebote speziell für Kinder von Alleinerziehenden existierten nicht. So konnte ich Elias in keiner Kindertagesstätte unterbringen. Das hatte natürlich wiederum finanzielle Folgen. Denn in der Zeit, in der ich mich um mein Kind kümmerte, konnte ich kein Geld verdienen. Geldmangel oder Zeitmangel – eine bittere Pille müssen wohl alle Alleinerziehenden schlucken. Also stellte ich das Thema Wiedereinstieg in den Beruf hinten an, bis Elias in den Kindergarten ging und ich ein klares morgendliches Zeitfenster für eine Berufstätigkeit nutzen konnte. Finanziell leisten konnte ich mir das nur, weil ich im Haus meiner Eltern wohnte. In mir wuchs der Wunsch, endlich wieder etwas anzupacken. In dieser Phase kam mir eine Projektidee, mit der ich zwar kein Geld verdiente, die in meinen Augen jedoch einen absoluten sozialen Mehrwert darstellte. Denn oft hatte ich mich als alleinerziehende Mutter überfordert gefühlt, musste aber natürlich für Elias stark sein. Zum Thema eigene Stärke hätte ich gern mehr Unterstützung erfahren. In vielen Städten gibt es tolle Kurse, beispielsweise „Starke Eltern – starke KinderÒ“. In meiner Heimatstadt gab es hier leider sehr wenig Angebote. Ich engagierte mich dafür, dass es ähnliche Kurse für Alleinerziehende gibt. Die entsprechenden Bildungsstellen reagierten verhalten und behaupteten, für Workshops dieser Art existiere kaum Nachfrage. Doch das Gegenteil war der Fall. Kaum angeboten, wurden die Kurse überrannt und der Austauschbedarf der betroffenen Frauen und Männer war enorm. Die Möglichkeit, sich zu vernetzen und in lockerer Atmosphäre offen über die eigene Lebenssituation zu sprechen, war für viele ein Rettungsanker. Gruppengespräche, Familienbrunch – alle Veranstaltungen wurden rege genutzt. Auch mir taten diese Gespräche nochmals sehr gut. Ich spürte, dass ich in meiner Situation nicht allein bin. Und ich war stolz, etwas Sinnvolles auf die Beine gestellt zu haben.
Wie ging es beruflich bei Dir weiter? Konntest Du Deine guten Referenzen aus Lehre und Studium für Deinen beruflichen Wiedereinstieg nutzen?
Jelena: Als Elias einen Kindergartenplatz bekam, war ich voller Elan, in einen tollen Job einzusteigen und meine Studien- sowie Auslandserfahrung in diesen einfließen zu lassen. Aber leider halfen mir meine Qualifikationen nicht weiter. Zumindest nicht in meiner besonderen Situation, da ich ja eine komplett neue Anstellung suchte und nach meiner Elternzeit in kein bestehendes Angestelltenverhältnis zurückkehren konnte. So bewarb ich mich einerseits auf konkrete Stellenausschreibungen, andererseits schrieb ich Initiativbewerbungen. Ich habe im Bereich Medien und Kommunikation studiert, hier gab es einige offene Stellen und Jobangebote. Meist wurden Bewerber gesucht, die studiert hatten, Berufserfahrung vorweisen und mindestens einer Fremdsprache überdurchschnittlich gut mächtig waren. Das entsprach genau meinem Profil. Eigentlich. Doch ein entscheidendes Kriterium konnte ich nicht erfüllen: Eine 40 Stunden Woche oder mehr zu leisten. Ich war darauf angewiesen, in Teilzeit zu arbeiten. Jobangebote, die meiner Qualifikation entsprachen, gab es jedoch nicht in Teilzeit. Es kam eine Absage nach der anderen. Da ich mir kein Auto leisten konnte, war die Wahl des Arbeitgebers von vorne herein beschränkt auf die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Noch hatte ich kein Geld für eine eigene Wohnung. So kam es nicht in Frage, einem Job „hinterher zu ziehen“. Wir wohnten bei meinen Eltern und ich konnte vorerst nur in diesem Radius beruflich tätig werden. Für mich war die Erkenntnis ernüchternd, dass mir mein Studium und meine Fremdsprachenkenntnisse in meiner aktuellen Lebenssituation wenig nutzten, um eine gute, sichere Anstellung zu finden. Normalerweise geht man mit einem gewissen Selbstvertrauen an Bewerbungen heran, wenn man einige Qualifikationen vorweisen kann. Schließlich war ich ja auch keine Ewigkeit raus aus meinem Beruf, sondern hatte nur eine reguläre Elternzeit von drei Jahren absolviert.
Trotz Deiner guten Referenzen und Deiner Eigeninitiative hast Du das erlebt, was viele Alleinerziehende beklagen: Du hast keine Chance bekommen, Dich zu beweisen.
Jelena: In solch einer Situation nicht sein Selbstwertgefühl zu verlieren, ist schwer. Natürlich hatte ich gewusst, dass es nicht leicht werden würde, als alleinerziehende Mutter mit Kind eine Teilzeit-Anstellung zu finden, die inhaltlich zu mir und meiner bisherigen Berufsausbildung passte und in Wohnortnähe lag. Aber dass sich über Monate hinweg einfach nichts ergab, frustrierte mich. Die Chancen für Alleinerziehende sind auf dem Arbeitsmarkt in bestimmten Branchen nach wie vor schlecht. Oft gibt es nur befristete Stellen, sodass man nach ein bis zwei Jahren wieder von vorn anfängt mit den Bewerbungen. In den Augen vieler Chefs stellt die Kombination „alleinerziehend mit kleinem Kind“ ein Risiko dar. „Und wer passt auf, wenn das Kind krank ist?“, „Überstunden sind hier üblich – geht das bei Ihnen überhaupt?“ Diese Fragen standen vielen Personalchefs unausgesprochen ins Gesicht geschrieben. Dabei ist die Motivation von Alleinerziehenden, den Wiedereinstieg in den Beruf zu schaffen, sehr hoch. Sie zeigen viel Eigeninitiative, wollen ihren Lebensstandard verbessern, möchten raus aus der sozialen Isolierung, haben die Kinderbetreuung geregelt und wollen vor allem eins: ihren Kindern Vorbild sein, arbeiten gehen, Geld verdienen. Natürlich müssen Alleinerziehende, wenn die Kinder noch klein sind, meist erst einmal in Teilzeit arbeiten. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Arbeitszeit Stück für Stück erhöht werden kann, wenn die Kinder älter werden.
Was folgte Deiner Ernüchterung?
Jelena: Mir wurde klar, dass ich als Alleinerziehende mit Kleinkind meinen Fokus bei der Jobsuche nicht länger auf persönliche Interessen, Karrierechancen oder auf Qualifikationen legen konnte. Leider. Die Zeit rannte, ich wollte finanziell endlich auf eigenen Füßen stehen, brauchte eine Anstellung. Ich sah ein, dass ich mich vorerst unter Wert verkaufen musste, um den Wiedereinstieg in den Beruf überhaupt zu schaffen. Also bewarb ich mich auf Stellen, für die ich eigentlich überqualifiziert war. Hauptsache eine Arbeit, denn ich wollte mir endlich eine Wohnung für Elias und mich leisten können. Unter anderem stieß ich auf das Stellenangebot eines Reiseveranstalters. Da ich mehrere Sprachen spreche und sich die Stellenbeschreibung gut anhörte, bewarb ich mich und erhielt nach dem Bewerbungsgespräch die Zusage. Die erste negative Entwicklung gab es gleich zu Beginn, denn plötzlich sollten die ersten drei Monate als Anstellung auf Praktikanten-Basis mit sehr geringem Verdienst laufen. Normalerweise hätte ich mich auf dem Absatz umgedreht und dieser Firma den Rücken gekehrt. Doch ich machte weiter. Der Arbeitsbereich der Touristik und des Reisens war eigentlich spannend. Leider dominierte in dieser Firma ein schlechtes Arbeitsklima. „Aber Augen zu und durch“, dachte ich. Und war froh, mit Hilfe meiner Eltern die Versorgung von Elias perfekt organisiert zu haben, um ja nicht durch den „Störfaktor“ Kind negativ aufzufallen. Es gab keinerlei Fehlzeiten meinerseits, die durch Elias bedingt waren. Meine Eltern fingen alles auf. Bis Elias nach einigen Monaten einmal richtig krank wurde und ich einige Tage bei ihm bleiben musste. Arbeitsrechtlich gesehen stehen jedem Elternteil 10 Fehltage pro Jahr zu, um im Krankheitsfall die Kinder zu betreuen. Bei Alleinerziehenden sind es 20 Tage. Durch Eliasʼ Grippe brach ich erstmalig diesen Anspruch auf Fehltage an, was mein Chef sofort negativ quittierte. Als ich danach selbst grippekrank wurde und wieder einige Tage zu Hause bleiben musste, war die Eskalation da und mein Chef legte mir die Kündigung nahe. Denn schließlich könne ich der Firma ja nicht uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Anfänglich wollte ich die Kündigung nicht einreichen, doch das Mobbing nahm zu. Nach einiger Zeit strich ich die Segel, da die Situation zu belastend wurde.
Dabei hattest Du die Betreuung von Elias während Deiner Arbeitszeit perfekt geregelt, hattest Dir hier nie etwas zu Schulden kommen lassen, sofern man das überhaupt so nennen kann.
Jelena: Genau das empfand ich als unfair. Der Vorwurf, dass ich aufgrund meiner Situation als Alleinerziehende nicht zuverlässig meine Arbeit erfüllen könne, war komplett haltlos. Paradoxerweise fühlt man sich trotzdem sofort schuldig, hat das Gefühl, man erfüllt die Norm nicht. Die Betreuungssituation meines Kindes ist für mich als Alleinerziehende schwierig genug und dann gibt es zusätzlich viele Arbeitgeber, die Väter oder Mütter wie mich wenig bis kaum unterstützen. Auch in Hinblick auf meine Rente war es wichtig, dass ich endlich eine feste Anstellung bekam. Denn nur wer viel verdient und hohe Beiträge bezahlt, bekommt später eine hohe Rentenauszahlung. Kindererziehung spielt da unverständlicherweise keine Rolle. „Jetzt erst recht!“, dachte ich. Ich ließ mich nicht entmutigen, studierte Stellenanzeigen, schrieb Initiativbewerbungen. Und erhielt eine feste Teilzeitanstellung an einer Universität, die im benachbarten Stadtteil liegt. Nach wenigen Monaten zog ich mit Elias in unsere erste gemeinsame Wohnung. Endlich ließen sich Kind und Beruf für mich unter einen Hut bringen. Morgens konnte ich zwischen 8 und 9 Uhr mit meiner Arbeit beginnen und arbeitete vier Stunden täglich. Sogar eine Uni-Kita gab es, die ich jedoch nicht in Anspruch nahm. Aber allein die Tatsache, in solch einem familienfreundlichen Umfeld tätig sein zu können, nahm viel Druck von mir. Das Gefühl, endlich etwas geschafft und aufgebaut zu haben, das sich nach Normalität anfühlte, war einfach großartig.
Nach einigen Hürden in und nach Deiner Elternzeit hast Du nun eine stabile Basis für Deine Zukunft mit Elias geschaffen. Wie sieht Deine aktuelle berufliche und private Lebenssituation aus?
Jelena: Mit meinem Job an der Uni bin ich nicht unglücklich, aber ich arbeite intensiv daran, etwas aufzubauen, was meinen Fähigkeiten und meinem Werdegang entspricht. So habe ich mich dazu entschlossen, eine Weiterbildung zur Erziehungs- und Familienberaterin zu machen. Da ich viele Erfahrungen weitergeben und gut mit Menschen arbeiten kann, möchte ich alleinerziehenden Müttern und Vätern Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Probleme geben. Danach kann ich es mir sehr gut vorstellen, mich als Familienberaterin selbstständig zu machen. Zu meiner privaten Situation: Zwischenzeitlich bin ich wieder in einer glücklichen Beziehung und wir haben einen weiteren Sohn. Mein Partner ist eine große Stütze, bleibt in allen Lebenslagen gelassen und ist immer für mich und für beide Kinder da. Ich merke, wie schön es für Elias ist, ein männliches Vorbild zu haben, das er nachahmen und zu dem er aufsehen kann. Zu meinen Eltern und Geschwistern besteht nach wie vor ein enges Verhältnis. Sie fingen mich auf, als ich sie gebraucht habe. Durch die besondere Entwicklung meiner Lebensumstände und die Geburt von Elias sind wir noch enger zusammengerückt. Wir verbringen sogar ganze Urlaube mit drei Generationen. Elias war für uns alle ein Geschenk und ich bin stolz, wie gut er sich trotz der für uns nicht immer einfachen Situation entwickelt hat. Meine aktuelle Herausforderung ist mein Berufsleben. Hier werde ich sicherlich noch einige Zeit brauchen, um da anzukommen, wo ich hin möchte. Aber vielleicht ist diese längere Zeitspanne auch dazu gut, dass sich die richtigen Türen zu gegebener Zeit auftun können. Und immerhin bin ich wieder selbstbewusster und habe mittlerweile nicht mehr das Gefühl, meine ganze berufliche Zukunft verloren zu haben, nur weil ich alleinerziehend bin.
Welches waren zusammengefasst die positiven und negativen Aspekte Deiner nicht ganz einfachen ersten Familienjahre?
Jelena: Das Wichtigste war die Unterstützung, die ich durch meine Familie und Freunde erfahren habe. Dass ich die ersten Lebensjahre von Elias alleinerziehend gewesen bin, war rückblickend eine große Enttäuschung. Denn bedingt durch meine eigene Erziehung und Prägung, war ein harmonisches Familienleben immer das, was ich meinen eigenen Kindern vorleben und an sie weitergeben wollte. Ich habe die im klassischen Sinne „normale“ Familie durch meine große Familie mit meinen Eltern und Geschwistern und deren Kindern ersetzt, was für ein Stück Normalität sorgte und mich auffing. Dennoch gab es viele emotionale Herausforderungen. Manchmal waren es Kleinigkeiten, die mich traurig machten. Der Anblick verliebter Paare, die stolz ihren Kinderwagen vor sich herschoben beispielsweise. Als Eltern plant man gemeinsame Aktivitäten, Urlaube, feiert Kindergeburtstage. Irgendwie nahm ich in meiner Wahrnehmung häufig eine Außenseiterrolle ein, wenngleich ich mit Elias sehr glücklich war. Aber auch das ging vorüber, mein Selbstbewusstsein und meine Unabhängigkeit wuchsen. Sehr stärkend war für mich der tolle Erfolg meiner Idee, über lokale Bildungs- bzw. Familieneinrichtungen Veranstaltungen für Alleinerziehende anzubieten. Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt beruflich nicht gut für mich lief, habe ich durch diese ehrenamtliche Projektarbeit tolle Erfahrungen gesammelt, die sich später als wegweisend für meine berufliche Neuorientierung herausstellten. Interessanterweise bin ich mit dem, was passiert ist, versöhnt und sehe das Gute. Ich bin an meinen Herausforderungen gewachsen. Ich habe zwei tolle Söhne, bin glücklich in meiner neuen Partnerschaft. Alles fühlt sich nach einem harmonischen Familienlieben an, das ist unglaublich schön.