Judith Meyer: Angst positiv begegnen
Heute stellen wir euch Judith Meyer vor. Judith ist zweifache Mutter und hat sich nach der Geburt ihres ersten Kindes beruflich komplett umorientiert. Welche Ziele ihrer Beratungstätigkeit und ihres Coachings zugrunde liegen und warum Ängste nicht ausschließlich negativ sein müssen, erzählt sie in diesem Interview.
Liebe Judith, wer bist du und was machst du?
Mein Name ist Judith Meyer, ich bin Heilpraktikerin für Psychotherapie und arbeite als Therapeutin und Coach. Ich habe mich auf den Bereich der Ängste spezialisiert und begleite Menschen mit Ängsten aller Art, sich und ihre Ängste zu verstehen und damit umzugehen. Zur Zeit sind das unter anderem hauptsächlich Ängste am Arbeitsplatz oder auch allgemein Existenzängste und Angst vor Veränderung. Auch Menschen mit Angststörungen kommen in meine Praxis. Ich nenne mich die AngStylistin®️. Der Name ist Programm: Ich habe die Vision, dass wir Menschen die Möglichkeiten in unseren Ängsten erkennen und sie als etwas Positives und Schönes begreifen. Die Angst ist unsere beste Freundin, die uns beschützen möchte. Sie zu verstehen und zu etwas Wunderbarem zu transformieren ist das, was ich mir sehr für meine Klienten wünsche und wofür ich ein eigene Art der Beratung und Prävention anbiete. Im Moment befinden wir uns gerade in der ISO-Norm-Zertifizierung, denn diese Art der Prävention ist auch für das Gesundheitsmanagement in Unternehmen interessant.
Wie bist Du darauf gekommen, Dich beruflich noch einmal ganz neu aufzustellen und Dich zu verändern?
Psychologie und Verhaltensbiologie haben mich schon immer interessiert und fasziniert. Ich bin in einer Landwirtschaft groß geworden, immer nah dran an der Natur und an den Tieren. Die Beobachtung, wie frühe Prägungen unser Verhalten beeinflussen, hat mich schon immer fasziniert. Letztlich (das klingt für manche vielleicht ketzerisch) sind wir auch nur Säugetiere. Ich glaube, vieles könnte wesentlich einfacher sein, wenn wir uns wieder mehr unseren Wurzeln nähern und uns besser verstehen könnten. Ich habe mich, nachdem ich das Abitur in der Tasche hatte, aber nicht an ein, aus meiner Sicht sehr medizinisches, Psychologiestudium herangetraut. So habe ich mich erst dem Verlagswesen zugewandt, dort eine klassische kaufmännische Ausbildung absolviert und auch in diesem Bereich gearbeitet. Später habe ich Mediapublishing studiert und in einem großen Kinderbuchverlag in Ravensburg gearbeitet. Dort habe ich meinen Mann kennengelernt und 2011 kam unsere erste Tochter auf die Welt. Die Elternzeit wollte ich nutzen, um mich weiterzubilden und das zu tun, was mich schon immer fasziniert hat: So machte ich mich auf die Reise in die Welt der Psychologie. Ich schrieb mich für ein Abendstudium in der Paracelsusschule ein, absolvierte dort innerhalb von zwei Jahren die Ausbildung mit mehreren Zusatzkursen und legte erfolgreich die Prüfung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie ab. Das war 2014. Diese Zeit war für mich so wichtig und dieses Abtauchen in diese Welt war so faszinierend, dass ich mich entschieden habe, nichts anderes mehr tun zu wollen. So habe ich mich 2015 mit meiner eigenen Praxis in Wolfegg, das liegt zwischen Ravensburg und Leutkirch, selbstständig gemacht. Ich bildete mich natürlich fortlaufend auch in anderen Bereichen weiter, unter anderem als Systemische Therapeutin, wingwave®️Coach, zertifizierte HypnoBirthing-Kursleiterin und Hypnosetherapeutin und blicke inzwischen durchaus mit Stolz auf zehn Jahre Praxiserfahrung zurück. Klienten mit Ängsten fanden schon immer verstärkt ihren Weg zu mir, was sicher auch damit zu tun hat, dass zum einen Angst hinter vielen Problemen und Krisen steckt, zum anderen aber auch, weil ich früher selbst an einer Angststörung litt. Menschen, die unter Ängsten leiden, können sich oft nicht erklären. Ich habe schon sehr früh die sogenannte Neutralitätspflicht zur Seite geschoben und gehe offen mit diesem Thema um, denn sich verstanden zu fühlen, ist für viele Menschen ein Gamechanger.
Wer ist genau deine Zielgruppe? Was bietest Du aktuell an?
Zum einen sind meine Klienten Menschen, die sich eine Veränderung in ihrem Leben wünschen und dafür Begleitung möchten. Ganz wichtig ist die Bereitschaft, diese Veränderung auch wirklich zu wollen. Die Veränderung oder auch Aufarbeitung mancher Themen benötigt den Mut, sich Ängsten zu stellen und aus der eigenen Komfortzone zu treten. Meine Klienten sind also Menschen, die sich eine Veränderung sehr wünschen und auch dazu bereit und offen sind, etwas wahrhaftig verändern zu wollen. Im privaten Bereich sind das oft Menschen, die entweder keinen Therapieplatz finden oder ganz gezielt Alternativen dazu suchen, zum Beispiel weil sie nicht nur eine klassische 45-Minuten-Sitzung wünschen, sondern eine intensive Begleitung, die ich anbiete. Das ist mir sehr wichtig, denn ein Großteil von Impulsen, die man sich in einer Session erarbeitet, geht im Alltag wieder verloren. Ich begleite Menschen intensiv, bin auch zwischen den Terminen ansprechbar und coache so auch im Alltag mit kleinen Erinnerungshilfen oder gezielten Audios, Filmen oder Dokumenten, für eine Transfersicherung. Immer wichtiger werden hier auch Unternehmen, die ihre Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, sich ihren Ängsten, zum Beispiel am Arbeitsplatz, anzunehmen. Das wird zukünftig ein wichtiger Punkt sein. Die Zahl der Ängste am Arbeitsplatz steigen und damit auch die Zahl der Fehlzeiten. Die Kreativität und Eigenverantwortung im Job bleibt auf der Strecke. Angst stoppt jegliche Kreativität und den Mut, auch in der Arbeit Veränderungen herbeizuführen oder mitzutragen. Daher kann ich nur jedem Unternehmen dazu raten, sich diesen Themen ohne Scheu anzunehmen. Zu einem guten Gesundheitsmanagement gehört das dazu.
Vor allem seit der Corona-Pandemie gibt es unter Kindern und Jugendlichen aber auch bei erwachsenen Menschen viele Betroffene, die unter Ängsten, depressiven Verstimmungen und Burnout leiden. Für eine grobe Einordnung: Mit welchen Bausteinen aus deinem großen Erfahrungsschatz und deinem methodischen Baukasten kannst Du Betroffene unterstützen?
Mit ganz viel Aufklärung. Das Problem aus dieser Coronazeit ist vielfältig … sprich: da gibt es mehrere Probleme. Die Jugendlichen haben einen ganz wichtigen Teil verpasst: Wenn Kinder älter werden, dann ersetzen sogenannte Peer-Groups mehr und mehr die Familie. Das sind Cliquen, Gruppen von Freunden, die das Zentrum für Jugendliche bilden und extrem wichtig für die Entwicklung sind. Wenn wir an unsere eigene Jugendzeit zurückdenken, dann erinnern wir uns: Das was uns Freude gemacht hat war in den seltensten Fällen die Schule oder gar das Lernen selbst, sondern es war das gemeinsame Erleben mit den Freunden. Auch für jüngere Kinder ist es eine extreme Zeit gewesen. Die ersten Lebensjahre sind prägend. Wenn hier Angst zu einer erzieherischen Methode wird, dann prägt das fürs ganze Leben. Für ein heute vier- bis fünfjähriges Kind besteht die Hälfte des Lebens aus einer Zeit der Pandemie, das ist eine sehr, sehr lange Zeit für ein Kind und eine sehr prägende noch dazu. Es ist wichtig, dass das auch die Eltern verstehen: Wir Erwachsene haben diese Zeit ganz schnell nach hinten geschoben und sind zum Alltag übergegangen, mehr oder weniger reflektiert. Nicht nur während Corona, sondern auch danach haben wir die Kinder vergessen. Es ist wichtig, dass sie verstehen, was in diesen Jahren passiert ist und wie sich das auf die psychische Gesundheit auswirkt. Und wir Erwachsenen wurden natürlich auch mit den unterschiedlichsten angsteinflößenden Szenarien versorgt, gemeinsam mit einem Gefühl der Machtlosigkeit zieht es da dem einen oder anderen unter Umständen den Boden unter den Füßen weg. Aufklärung ist für mich inzwischen das wichtigste Tool: Verhaltens- und psychobiologische Vorgänge zu erklären, schafft so viel Verständnis und Klarheit für sich selbst, dass dann die innere Arbeit beginnen kann. Oft wehren wir uns gegen unsere Gefühle, wie Angst oder Wut, wir bewerten und verurteilen uns. Das schwächt! In meiner Welt gibt es keine schlechten Gefühle und auch keine Schwächen. Es ist wichtig, vergangene Dinge zu verstehen und neu zu bewerten, dann darf es lösungsorientiert und mit sehr vielen Bildern und Ressourcen in eine neue Zukunft gehen. Wenn Du nach Methoden fragst, dann kommt nach der Psychoedukation die Arbeit mit dem Unterbewusstsein. Hier arbeite ich hauptsächlich mit Hypnose und wingwave®️. Da ich systemische Therapeutin bin, fließt das natürlicherweise überall mit ein. Eine positive Seite hatte Corona aber doch: Online arbeiten ist selbstverständlich geworden und so arbeite ich auch inzwischen viel online und begleite Menschen wohnortunabhängig.
Was ist für Dich die größte Herausforderung in deiner Selbstständigkeit? Und was ist das Schönste an deinem Beruf?
Die größte Herausforderung ist mit Sicherheit die, dass man als Alleinunternehmerin alles sein muss (oder darf). Das hat mich sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen gekostet, denn du bist als Selbstständige ja wirklich alles in einer Person: Einkauf, Vertrieb, Marketing, Buchhaltung und Dienstleister. Am Schwersten fällt mir sicherlich das Marketing und der Vertrieb. Sichtbarkeit ist für alle Selbstständige in meinem Bereich vermutlich die größte Herausforderung. Und „nebenher“ noch Mama sein. Allem und allen gerecht zu werden und das möglichst tiefenentspannt ist auch eine große Aufgabe. Gleichzeitig sind all diese Punkte auch die schönen Seiten der Selbstständigkeit. Ich liebe es, dass ich mich zeitlich selbst einteilen kann und darf und flexibel bin. Ich suche mir inzwischen die Hilfe, die ich brauche, sodass ich ein Team an Unterstützern habe und ein immer weiter wachsendes Netzwerk. Es gibt so viele Einzelkämpfer, wir dürfen Synergien bilden und uns gegenseitig unterstützen. Das macht so viel Freude und es entstehen wie von selbst immer neue Ideen. Das ist natürlich etwas, das nur mit viel Zeit, Ausdauer und Offenheit aufzubauen möglich ist.
Du hast ein tolles Netzwerk an inspirierenden Kollegen und Kolleginnen, mit denen Du viele Workshops und Kurse gemeinsam bzw. in Kooperation abhältst. Auf was dürfen sich deine Klientinnen und Klienten in Zukunft freuen?
Zur Zeit schreibe ich mit einigen Mitautoren und -autorinnen an einem tollen Buch. Darauf freue ich mich sehr und bin sehr gespannt. Ansonsten gibt es hier immer mehr wundervolle Workshops, zum Thema Persönlichkeitsentwicklung, Umgang mit schwierigen Situationen und Menschen, die ich gemeinsam mit meinem Mann Andreas leite. Im Bereich Gesundheit arbeite intensiv mit Gabriel Hofmann zusammen, er ist Ernährungsberater und Personaltrainer und hat eine ganz wundervolle Einstellung zu diesen Themen. Keine Schablone für Menschen, sondern gesund und fit durch Selbstfürsorge. Auch Kurse für Frauen, vor allem für Schwangere, biete ich unter anderem mit Tina Piele an. Und viele weitere Kurse und Workshops sind in Planung. Es lohnt sich immer auf unserer Homepage vorbeizuschauen: www.zeitblume.org
Was ist dein größter Wunsch für deine selbstständige Arbeit?
Oh je, da fragst Du mich was. Ich habe da mehrere große Wünsche. Vielleicht lässt sich das auch zusammenfassen: Ich wünsche mir, dass die Menschen im allgemeinen, gemeint sind aber auch die Gesellschaft und die Unternehmen, erkennen, dass eine stabile Persönlichkeit und die Investition in die eigene Gesundheit die wichtigste Grundlage für ein friedvolles und freudvolles Miteinander ist. Das lässt sich nicht über Konsum und eine gute Wirtschaft lösen. Es ist die Ausgangslage dafür. Wir schauen viel ins Außen, investieren viel Zeit und Geld in Konsum und Status und sind dabei immer gestresster. Stress ist im Übrigen der beste Boden für Angst. Unsere Gesellschaft neigt dazu, und die Medien sind dabei natürlich nicht ganz unschuldig, sich auf Probleme und Katastrophen zu stürzen. Wir sollten nach Lösungen und lebenswerten Zukünften (absichtlich in Plural geschrieben) streben und nicht nur wie in Trance auf unsere Probleme schauen. Wer auf der Suche nach einem Psychotherapieplatz ist, der weiß: die Wartezeit ist meist sehr lange. Weshalb kann das Gesundheitssystem sich hier nicht neu aufstellen und den Markt auch für andere psychotherapeutisch arbeitende Menschen öffnen? Stattdessen gibt es jetzt schon Onlinekurse auf Rezept (das zumindest erzählen mir Klienten und Kollegen). Auch Unternehmen könnten sich hier besser aufstellen und nicht nur auf Coaches aus größeren Agenturen setzen, die Führungskräfte coachen, sondern den Mitarbeitern die Tür für die Bewerkstelligung ihrer persönlichen Problemen öffnen. Gesunde und glückliche Mitarbeiter sind die Grundlage für ein gesundes Unternehmen. Geld und Zeit wären hier sinnvoll investiert und ganz nebenbei wird auch unsere Gesellschaft glücklicher und gesünder.
Liebe Judith, vielen Dank für dieses spannende Gespräch! Wenn ihr mehr über Judiths wertvolle Arbeit als AngStylistin®️ erfahren möchtet, schaut unbedingt auf ihrer Webseite vorbei: www.judithmeyer.de.
Judiths weitere Kursangebote findet ihr unter www.zeitblume.org.