Vom Ländle in die Midlands – Autorin Jonna Struwe


Aktuell habe ich das wunderbar unterhaltsame Buch „Von Babys und Briten“ gelesen. Autorin Dr. Jonna Struwe, die ihr Buch unter dem Pseudonym Johanna Wieninger geschrieben hat, ist Zweifach-Mama, arbeitet als freiberufliche Autorin und Bloggerin in Stuttgart. Jonnas Buch erzählt von ihren vier Jahren Familienleben in England mit allen Höhen und Tiefen, die so ein Umzug ins Ausland mit sich bringt.

© Morrison & Kin Photography

Liebe Jonna, wie hat es damals mit Eurem Einleben in England geklappt?
Das Einleben hat ja viele Facetten. Den Alltag zu organisieren ging ganz gut, Freunde zu finden hat lange gedauert. Ich würde sagen, da waren wir erst nach zwei Jahren so richtig angekommen.

Was waren rückblickend Deine größten persönlichen Herausforderungen?
Das ist schwer zu sagen, weil sich durch den Umzug nur drei Monate nach der Geburt unserer Tochter von heute auf morgen wirklich ALLES in unserem Leben geändert hat. Ich war nicht nur auf einmal Mama, was ja schon genug Umstellung mit sich bringt, sondern auch noch in einem fremden Land. Ich konnte zwar die Sprache, aber keine einzige Vokabel für den Baby-Alltag – von Impfung bis Windel oder Beikost war alles fremd. Ich wusste nicht, wo man Popo-Creme kauft oder wie ich je einen Babysitter finden sollte. Wir lebten in einem winzigen Dorf und für mich als Stadtmensch fühlte es sich an, als wäre ich vom Leben abgeschnitten. Sehr viel allein zu sein, das war definitiv eine Herausforderung. Und die unfertige Doktorarbeit im Nacken hat mich zusätzlich sehr belastet.

Gab es besonders lustige oder gar bizarre Begegnungen oder Begebenheiten?
Eigentlich ständig. Als Ausländer hat man ja viele Gelegenheiten in jedes erdenkliche Fettnäpfchen zu treten und wahrscheinlich habe ich nicht einmal immer bemerkt, wann ich unfreiwillig komisch war. Lustig war, wie sich meine englische Freundin kaputtlachte, als ich ganz unbedarft vom Christkind erzählte, das bei uns die Geschenke bringt. „What? Baby Jesus?“ Sie wollte es gar nicht glauben. Bizarr war z.B., als ich eines Mittags auf den Parkplatz am Supermarkt rollte und am Land Rover neben mir die Fasane paarweise über den Außenspiegeln baumelten. Dem Jäger fehlten offenbar noch die Beilagen zum Menü.

Was hast Du als „typisch britisch“ kennen gelernt?
Höflichkeit und Humor – tatsächlich wie im Klischee. Allerdings habe ich auch gemerkt, wie beides dem Nicht-Einheimischen schwer macht zu erkennen, was wirklich gemeint ist. Ist der Satz, dass man mal zum Tee kommen solle nur eine Floskel oder tatsächlich eine Einladung? Ist der launige Kommentar zu englischen Befindlichkeiten Selbstironie oder verkappter Stolz auf nationale Eigenheiten?

Was hast Du in England vermisst?
Bäcker, gute Schokolade und windstille Tage.

© Jonna Struwe privat

Was würdest Du Familien raten, die jobbedingt als Expats für einige Jahre ins Ausland übersiedeln?
Sich Zeit für die Vorbereitung zu nehmen, sich nicht vom Unternehmen hetzen zu lassen (bei uns ging alles holterdipolter innerhalb von ein paar Wochen) und Unterstützung einzufordern. Es ist nicht damit getan, dass man ein Umzugsunternehmen geschickt bekommt und die Versicherungsfragen geklärt sind. Es sollte z.B. eine Beratung bei einem Familienanwalt angeboten werden, denn je nach Destination ist ein Ehevertrag u.ä. sinnvoll. Die Firmen führen z.T. Statistiken, die erfassen, bei welchen Ländern wie viele Ehen während der Entsendung scheitern, aber über die damit verbundenen Risiken klärt niemand auf. Was passiert, wenn das Visum des Partners an das des Expats gebunden ist? Muss oder darf derjenige ausreisen? Mit oder ohne Kinder? Und man sollte bei der Ausreise die Rückkehr schon mitdenken. Welche Unterstützung bekommt der Partner (in der Regel ja die Frauen) für den beruflichen Wiedereinstieg in Deutschland? Welche Hilfe benötigen ggf. die Kinder, um den Anschluss in der Schule wieder zu finden. Der Sohn von Freunden z.B. brauchte bei der Rückkehr Nachhilfe in Deutsch, aber die Firma war erst dann bereit, einen Beitrag zu leisten, als er nachweislich schlechte Noten nach Hause brachte. Da lässt man ein Kind sehenden Auges kläglich scheitern, man nimmt in Kauf, dass Schule in Deutschland zur negativen Erfahrung wird, nur weil man fürchtet, ein Expat könnte schmarotzen?

Gibt es ein Land, in dem Du gern noch einmal für ein paar Jahre leben würdest?
Oh ja! Nach Frankreich würde ich gerne, denn eigentlich war Französisch immer mein Steckenpferd. Und nach Italien – denn sonst werde ich Italienisch wahrscheinlich nie lernen. Meine Kinder lernen die Sprache in der Schule und ich würde gerne mitreden können.

Was machst Du heute?
Ich habe eine Internetplattform für deutschsprachige Familien im Ausland gegründet (www.expatmamas.de)und schreibe auf meinem Blog über alle entsendungsrelevanten Themen. Eine Mischung aus Unterhaltung, Information, Beratung und Lobbyarbeit für mitausreisende Familien.

Wie klappt es, dass Du Deinen Beruf und Dein Familienleben unter einen Hut bringst?
Tu ich das? – Ich denke, alles steht und fällt damit, dass ich mein Büro zu Hause habe und mein eigener Chef bin.

Vor welchen Herausforderungen stehst Du als berufstätige Mutter von zwei Kindern in Deutschland?
Meine persönliche Herausforderung ist es, als Freiberufliche überhaupt als arbeitend gesehen zu werden. Die meisten sehen nur, dass ich ja immer zu Hause bin. Dass ich den ganzen Morgen am Schreibtisch verbringe und kurz vor dem Mittagessen der Frühstückstisch noch genauso aussieht wie um 7 Uhr, merkt ja keiner. Schreiben gilt als Hobby; dass jeder Text richtig viel Arbeit macht, fällt nicht auf – wenn er gut ist, liest er sich ja auch in ein paar Minuten. Außerdem bin ich für Blog und Website ja auch noch Anzeigenverkäufer, Community-Manager, It-Spezialist, Buchhalter. Grundsätzlich finde ich es schade, dass in Deutschland Vereinbarkeit darauf reduziert wird, wie die Frauen Beruf und Kinder bitte gleichzeitig unter einen Hut bringen können. Kann man auf Dauer zweimal 100 Prozent leisten? Was ist mit vernünftigen Modellen zu Teilzeit und zum Wiedereinstieg? Da wird in Stuttgart auf offiziellen Veranstaltungen von Arbeitsamt und Frauenförderinitiativen ernsthaft dafür geworben, sich als Praktikantin zu bewerben, um wieder Fuß zu fassen. Sowas macht mich sprachlos. Und auch in der Freiberuflichkeit findet man nur bedingt sein Heil, wenn das Finanzamt die Einnahmen als zu gering erachtet und die Gewinnerzielungsabsicht gleich in Frage stellt. Vereinbarkeit ist so viel mehr, als die Frage, wie man die Kinder weg organisiert, um 8 Stunden ins Büro gehen zu können.

Was ist für Dich das Schönste am Mama-Sein und was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Die innigen Momente, die es nur mit Kindern gibt. Kinder, die ihre Träume verfolgen können. Und zwar überall auf der Welt.

Liebe Jonna, vielen Dank für dieses interessante Interview!
Wenn Ihr Jonna unter ihrem Pseudonym Johanna Wieninger auf Facebook folgen möchtet, könnt Ihr dies hier tun. Sehr empfehlenswert ist die von Jonna gegründete und betriebene Experten-Seite www.expatmamas.de.