
Aus Kindern werden Leute
Wenn Kinder früh flügge werden, bedeutet das Mut und Loslassen auf beiden Seiten – für Kind und Eltern. Vertrauen in die eigenen Kräfte beziehungsweise in die Kräfte und in die Selbstständigkeit des Kindes sind wichtige Faktoren, die zu einem gelungenen Start, beispielsweise bei einer Berufsausbildung in einer anderen Stadt oder einem Schuljahr im Ausland, beitragen können. Wir haben zu diesem Thema Jenny Kompart interviewt, die im Alter von 16 Jahren allein nach Hamburg zog, um sich dort in ihrem Traumberuf ausbilden zu lassen.
Liebe Jenny, wer bist Du und was machst Du?
Ich bin Jenny Kompart, ich bin Tanzpädagogin und unterrichte hauptsächlich Ballett, aber auch Yoga, Stepptanz und Modern Dance sowie viele anderen Tanzrichtungen.
Du bist im Alter von 16 Jahren allein in eine Großstadt gezogen, um deine Ausbildung zu beginnen. Wie waren diese ersten Schritte in ein neues Leben für dich?
Die ersten Schritte waren sehr spannend. Ich bin in einer mittelgroßen Stadt aufgewachsen und dann mit 16 Jahren nach Hamburg gezogen. Allein schon die Größe der Stadt mit Straßenbahnen und U-Bahnen etc. war beeindruckend. Sich in der Großstadt bewegen, mit Haushaltsgeld zurecht kommen, in Vollzeit meine Ausbildung zur Tanzpädagogin absolvieren, das war schon alles sehr aufregend. Ich war die Jüngste in der Ausbildung, wurde von den anderen Mädels sehr herzlich aufgenommen. Es war ein guter Mix aus zugezogenen und echten Hamburgerinnen mit natürlich sehr engem Bezug zu unserer Leidenschaft, dem Tanzen. Diese Leidenschaft hat uns sowieso zusammengeschweißt. Meine Eltern haben, weil ich noch so jung war, darauf bestanden, dass ich ein Zimmer bei einer Familie zur Untermiete nehme. Das hat uns allen ein Sicherheitsgefühl vermittelt und es war zur Not jemand für mich da, obwohl ich schon sehr unabhängig war.
Was waren die größten Herausforderungen und was die schönsten Momente?
Die Behördengänge waren manchmal etwas anstrengend, denn da gab es zahlreiche Rückfragen, ob meine Eltern denn wüssten, dass ich allein in Hamburg leben würde und so weiter. Und meine Eltern mussten natürlich eine Menge Erklärungen unterschreiben, beispielsweise wenn es um das Eröffnen eines Bankkontos ging. Zu den schönsten Momenten zählte das Gefühl, unabhängig und erwachsen zu sein. Ich habe stets gern meine Unabhängigkeit genossen, meine Eltern haben uns bereits früh zur Selbstständigkeit erzogen, davon habe ich in Hamburg enorm profitiert. Meine Ausbildung ging natürlich immer vor, auch wenn ich viel mit meinen Freundinnen unterwegs war und meine Freiheiten hatte. Die Ausbildung hat mich sehr gefordert, da sie auch körperlich anstrengend war.
Wie war das für deine Eltern, als sie dich haben ziehen lassen?
Für meine Eltern war das ein großer Schritt, vor allem für meine Mutter, die doch große Angst um mich hatte. Mein Vater war sehr zuversichtlich, dass ich alles schaffe und hat auch meine Mutter bestärkt. Es war auch immer klar, dass es einen Weg nach Hause zurück gibt, sollte die Entscheidung mit Hamburg nicht die richtige sein. Das war ein sehr tolles, besonderes Gefühl, dass meine Eltern mir so viel Vertrauen geschenkt haben.
Inwieweit profitierst du heute von deinem damaligen Mut?
Ich profitiere bis heute von diesem Schritt damals, bin immer noch sehr unabhängig, versuche die Dinge für mich zu lösen. Manchmal brauche ich auch Hilfe, aber erstmal schaue ich für mich, ob ich es allein hinbekomme. Das ist eine gute Sache, die ich durch den frühen Auszug und das frühe Alleinsein schon in jungen Jahren gelernt habe und die mir generell im Leben und in meiner beruflichen Selbstständigkeit geholfen hat. Ich mache gern mein eigenes Ding, gehe die Dinge an.
Was kannst du Jugendlichen in Bezug auf die Abnabelung vom Elternhaus und auf die Erfüllung ihrer Träume raten?
Jugendlichen kann ich nur raten: Schafft euch eure eigenen Bereiche, wo ihr eigenständig seid. Und lernt auch, die Konsequenzen von Entscheidungen zu tragen. Auch wenn es unbequem wird, versucht, die Dinge durchzuziehen und hinterfragt euch, ob und wie es weitergehen kann, ob Entscheidungen geändert werden müssen. Bezüglich der Erfüllung eigener Träume: Wenn es ein wirklicher langfristiger Traum mit ernsthaftem Bestreben ist, der Bestand hat, dann ist meine Meinung: Los geht´s, macht das. Ich selbst habe dieses Vorwärts in Sachen früher Berufsausbildung in einer anderen Stadt und allen weiteren Entscheidungen, die danach anstanden, nie bereut. Ich habe aber auch schon seit meinem fünften Lebensjahr getanzt, später hatte ich fünf-, sechsmal pro Woche Tanzunterricht. Das Ballett war ein intensives Hobby und als sich nach erfolgreichem Realschulabschluss die Möglichkeit zur tanzpädagogischen Ausbildung ergeben hat, war mir klar, dass ich das Tanzen tatsächlich zu meinem Beruf machen möchte und nichts anderes.
Was können Eltern richtig machen, wenn es um das Loslassen ihrer Kinder geht?
Ich war als Kind so stolz, wenn ich mit abgezähltem Geld allein zum Bäcker gehen und später, mit dem Älterwerden, immer mehr Dinge selbstständig regeln durfte. Das hat mir ein enormes Selbstvertrauen gegeben und meine Eltern haben mich stets darin bestärkt, eigene Entscheidungen zu treffen und die Dinge selbst zu meistern. Manchmal denke ich, Eltern sollten ihren Kindern nicht so viel abnehmen oder auch nicht immer für ihre Kinder einspringen. Denn diese müssen auch lernen, für etwas gerade zu stehen, was sie verbockt haben. Dieses ‚Geradestehen müssen‘ formt im positiven Sinne und gibt Lebenserfahrung. Der richtige Mix, die Kinder selbstständig werden zu lassen, andererseits aber auch immer da zu sein, wenn man als Eltern gebraucht wird, diese Sicherheit ist immens wichtig. Ich konnte stets auf meine Eltern zählen, sie waren immer da. Deshalb konnte ich auch so früh und so leicht loslassen und mich auf den Weg machen.
Würdest du heute nochmals alles genauso machen?
Ich würde auf jeden Fall alles nochmals genauso machen. Natürlich gibt es kleinere Punkte, wo ich rückblickend denke, da würde ich mit der heutigen Lebenserfahrung vielleicht anders an die Sache rangehen. Aber damals war ich auch in einem anderen Alter, hatte noch nicht so den Erfahrungsschatz. Die Tanzausbildung zu machen, dafür allein nach Hamburg zu ziehen und dann aber auch nochmals zu sagen: Ich fühle mich noch nicht reif für den Beruf und mache eine Fortbildung in Salzburg, das waren alles richtige Schritte. Denn erst nach der Fortbildung wusste ich: Jetzt kann es langsam losgehen mit dem echten Start ins richtige Berufsleben. Das würde ich alles nochmals genauso machen.
Liebe Jenny, vielen Dank für dieses interessante Interview und für deinen Erfahrungsbericht!