Stoppt die Früheinschulung in Baden-Württemberg!


Drei engagierte Mamas aus Baden-Württemberg fordern mittels einer Online-Petition, den Einschulungsstichtag wieder auf den 30. Juni zurückzuverlegen, damit die Jüngsten, teilweise noch fünfjährigen Kinder, ein weiteres Jahr im Kindergarten bleiben können. Heute gibt es spannende News zu der aktuellen Online-Petition, denn: Das Quorum ist erfüllt! Nicole Stolzenberger, eine der Initiatorinnen der Petition, hat uns dazu einige Fragen im Interview beantwortet.
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Liebe Nicole, möchtest Du uns zum Einstieg etwas über Dich erzählen?
Ich bin Nicole, 42 Jahre jung, verheiratet und Mutter einer Tochter. Aktuell arbeite ich in Teilzeit als Erzieherin. In meiner Freizeit liebe ich es, Zeit mit meinen Lieben zu verbringen, zum Beispiel Fahrradtouren zu unternehmen, im Sommer an schönen Plätzen zu campen oder auch mal ein spannendes Buch zu lesen.
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Als Erzieherin begleitest Du viele unterschiedliche Kinder. Was macht Deinen Beruf für Dich so besonders?
Ich liebe die Vielseitigkeit meines Berufes. Jedes Kind ist anders, jeder Tag ist anders. Beides ist natürlich auch mit Herausforderungen verbunden. Wir Erzieher/-innen haben die besondere Aufgabe, die Kinder ein Stück ihres Lebensweges zu begleiten und zu unterstützen. Leider ist das aufgrund vieler Situation nicht immer einfach (Gruppengröße, Personalmangel usw.).
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In Baden-Württemberg müssen Kinder, die bis zum 30. September sechs Jahre alt werden, eingeschult werden. Wie schätzt Du diese Einschulungspflicht auf Basis Deiner Berufserfahrung her ein?
Es ist ganz unterschiedlich. Es gibt junge Kinder, damit meine ich die Sommerkinder, die für den Schulalltag und die damit verbundenen Herausforderung fit sind. Vielen würde allerdings ein weiteres Jahr gut tun, um in den Bereichen der sozialen und emotionalen Fähigkeiten zu wachsen und um das Selbstbewusstsein noch weiter reifen zu lassen. Doch pauschalisieren kann man das nicht, jeder Mensch ist anderes.
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Du hast mit zwei weiteren Müttern eine Petition gegen diesen Stichtags-Wahnsinn gestartet. Was fordert ihr in dieser Petition?
Unsere Petition besteht außer aus Katrin, Julia und mir noch aus einer Elterninitiative. Wir wollen erreichen, dass den Kindern ermöglicht wird, ein weiteres Jahr im Kindergarten/KiTa zu verbringen, wenn sie dies aufgrund ihrer Fähigkeiten noch benötigen, damit diese weiter „reifen“ können. Oft ist es der sozial-/emotionale Bereich der ganz jungen Kinder, der noch etwas reifen muss. In der Schule werden so viele Anforderungen gestellt und wenn das „Gesamtpaket“ der Kompetenzen nicht stimmt, geht ein Kind schnell unter, verliert die Lust und die Motivation. Wir fordern etwas mehr Flexibilität in dem System rund um den Einschulungsstichtag. Vor allem, um das nervenaufreibende Procedere des Zurückstellungsantrages zu verringern. Ein Stichtag vor den Sommerferien bringt immerhin den kleinen Vorteil, dass die Kinder fast 6,3 Jahre alt sind und nicht wie derzeit zum Teil noch 5,11. Das sollen die Eltern jedoch selbst entscheiden dürfen. Aktuell wird wohl auch darüber diskutiert, die „Beratung“ der Eltern zu verbessern. Was aber nützt eine bessere Beratung, wenn am Ende eine außenstehende Person über den weiteren Weg des Kindes entscheidet? Gleiches Dilemma, unter anderem Deckmantel!
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Du bist selbst Mutter einer Tochter. Bist Du auch privat von diesem Thema betroffen?
Ja, auch wir sind privat betroffen. Meine Tochter wird im September fünf Jahre alt und ist nach der aktuellen Stichtagsregelung nächstes Jahr schulpflichtig. Mich beschäftigt das Thema Einschulungsstichtag schon sehr lange. Ich würde gerne selbst entscheiden, ob mein Kind als eine der Jüngsten ihres Jahrgangs in allen Bereichen schulfit ist und ihren Weg gut gehen kann. Ich will als Mutter den bestmöglichen Schulstart für mein Kind, genauso wie jede andere Mama oder jeder andere Papa. Ich kann am besten abwägen, ob mein Kind den neuen Situationen standhalten kann, da ich es in jeder Lebenslage kenne, in Ausnahmesituationen, in Stresssituationen usw.
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Wie viele Unterschriften fehlen Stand heute noch?
Aktuell haben wir über 21011 Unterstützer aus Baden-Württemberg, 23590 weltweit. Das Quorum ist erreicht (21000 aus Baden-Württemberg), aber wir sammeln natürlich weiter bis zum 30. Juni 2019 Unterschriften, um auf die Notwendigkeit, etwas zu verändern, aufmerksam zu machen. Und es werden jeden Tag mehr, da die Petition immer mehr Menschen erreicht.
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Habt ihr prominente Unterstützung für euer Vorhaben gewinnen können?
Wir haben zum Beispiel Herbert Renz-Polster für „unsere Sache“ gewinnen können. Er hat zum Thema Einschulungsstichtag einen Artikel verfasst und auf seiner Homepage sowie Facebook eingestellt mit dem Aufruf, unsere Petition zu unterstützen. Auf Facebook haben uns u.a. Katja Saalfrank, Sara Kulka, Mamiblock, Kindherzgedanke, Tollabea, FamilienLiebe und viele weitere tolle bloggende Mamas durch einen Post auf ihrer Seite unterstützt, wofür wir sehr dankbar sind, weil sie so viele Menschen erreichen. Auch von der Politik haben wir Zuspruch erhalten. So haben die SPD/FDP sich auf unsere Seite gestellt. Die SPD hat einen parlamentarischen Antrag gestellt, die FDP hat zu einer Regierungsbefragung im Landtag eingeladen (ist in der Mediathek vom Landtag abrufbar).
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Was bestärkt Dich, als eine der Vorreiterinnen in Baden-Württemberg für das Thema spätere Einschulung zu kämpfen?
Mich bestärkt, dass es in Bayern und anderen Bundesländern funktioniert hat, den Stichtag wieder zurückzuverlegen. Ich möchte vielen Kindern und deren Familien ersparen, dass das Kind zu früh eingeschult wird und die Freude und Neugierde am Lernen verliert. Ich wünsche mir eine schöne Schulzeit für die Kinder, eine Schulzeit die mit Rückenwind und nicht mit Sturmböen beginnt. Ich möchte Eltern ermutigen, sich für ihr Kind einzusetzen und zu kämpfen und sich nicht vorzeitig abspeisen zu lassen.
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Was würdest Du Dir für die schulische Zukunft unserer Kinder wünschen?
Zu allererst natürlich, dass ein Kind erst dann eingeschult wird, wenn es aufgrund aller Kompetenzen schulreif ist und die Eltern dies entscheiden dürfen. Ich wünsche mir für die schulische Zukunft ein Umdenken des Systems mit Anpassung an die Interessen der Kinder und humanen Schulzeiten, die (besonders zu Beginn der Schulzeit) viel Freiraum zum Spielen und für eigene Interessen zulassen. Ein Kind lernt am besten aus eigenem Antrieb, wenn etwas seine Neugierde geweckt hat und spannend ist. Ich würde mir kleine Klassen wünschen und dass jedes Kind eine gute Bindung zum Lehrer hat, so dass es sich voll und ganz auf den Unterricht einlassen kann. Ich wünsche mir „be-greifbare“ Bildungsthemen, die sich die Kinder ganzheitlich selbst erschließen können, also nicht nur durch zuhören, sondern auch durch ansehen, anfassen, live dabei sein.

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Liebe Nicole, herzlichen Dank für dieses Gespräch und herzlichen Glückwunsch zu den über 20.000 Unterschriften, die es ermöglichen, das Anliegen eurer Online-Petition nun in den Landtag zu tragen, wo es über einen Petitionsausschuss hoffentlich Gehör finden und Änderungsbeschlüsse zugunsten unserer Kinder herbeiführen wird. Und wenn ihr die Petition noch unterzeichnen möchtet, dann könnt ihr dies hier tun. Nach wie vor zählt jede Stimme!