(K)eine Barriere im Kopf


„Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf.“ (Afrikanisches Sprichwort)

Kürzlich feierte meine beste Freundin ihren 40. Geburtstag mit einer großen Party. Zwei Kinder hat sie, das ältere Kind, die zehnjährige Kim, ist schwerbehindert. Das Meistern ihres Familienalltags verlangt meiner Freundin und ihrem Mann häufig viel Kraft ab. Die Oma, die mit im Haus lebt, kümmert sich rührend und auch die restliche Familie, die weiter weg wohnt, ist stets da, wenn sie gebraucht wird. Und dann sind da noch sie: Die Freunde vor Ort. Viele liebe Menschen, für die es seit zehn Jahren selbstverständlich ist, das tägliche Familienleben zu unterstützen. Berührungsängste in Bezug auf ein besonderes Kind mit Behinderung? Fehlanzeige. Dafür jede Menge Akzeptanz, Liebe und Geborgenheit. Und ganz oft das Wort „wir“. „Wir schauen nach Kim.“ „Wir bringen Kim nachher ins Bett.“ „Wir sind froh, dass Kim heute einen guten Tag hat und mitfeiern kann.“ Ein Freundeskreis, der das afrikanische Dorf nicht nur im Ansatz lebt, sondern der täglich da ist und alle Höhen und Tiefen mitträgt, auch wenn es mal unbequem und anstrengend ist. Und der trotzdem, oder gerade deshalb, jede Party rockt und dabei stets verlässlich wie ein alter Ehepartner ausstrahlt: In guten wie in schlechten Zeiten. Wir sind da.

Manchmal erlebt man auch andere, behinderte Momente. Behinderte Momente deshalb, weil in diesem Augenblick die Barriere im Kopf eines gesunden Menschen spürbar wird. So kommentierte neulich eine Dame auf einer Veranstaltung das auffallende Lautieren eines vermutlich autistischen Jungen mit den Worten „Muss denn das sein?“. Die betroffene, sehr liebevoll und ruhig wirkende Mama, die ihren Sohn bis dahin einfach wunderbar entspannt hatte spielen lassen, erhob sich daraufhin eilig von ihrem Platz, nahm ihr Kind auf die Seite und bemühte sich, für Ruhe zu sorgen, während die Motz-Mama mit zwei Freundinnen tuschelte. Im Nachhinein ärgert es mich fast ein wenig, dass ich die Motz-Mama nicht angesprochen habe. Klar sollte auch ich tolerant sein, wenn es um in meinen Augen überflüssige Äußerungen geht, die mir nicht passen. Aber Toleranz ist eben nicht nur das Geltenlassen anderer Handlungsweisen oder Überzeugungen. Toleranz bedeutet auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung. Und die Gleichberechtigung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen sollte nicht mehr zur Diskussion stehen, sondern selbstverständlich sein. Denn schließlich tolerieren behinderte Menschen im Gegenzug auch täglich Menschen ohne Behinderung.

Wer mehr zum Thema Familienleben mit behindertem Kind bzw. dem Thema Inklusion lesen möchte, der möge sich ins Kaiserinnenreich, einem inklusiven, sehr lesenswerten Familienblog, begeben. Und auch in “Paulis kleinem Universum” gibt es viel Spannendes zum Familienalltag mit einem behinderten und einem nichtbehinderten Kind zu erfahren. In ihrem Intro zitiert Pauls Mama Kathinka den wunderbaren, auf der Website von Special Miracles gelesenen Satz: Down-Syndrome is a journey I never planned, but I truely love my tour-guide!